Der Teufel in Thannsüß (German Edition)
gelassen, und ein bedrückendes Gefühl überkam ihn. Es fühlte sich an, als würden seine Schultern mit Steinen beladen, die ihn niederdrückten und ihm das Atmen schwer machten. Während der gesamten Fahrt wechselten er und Xaver Wrede kein einziges Wort.
Erik kämpfte gegen das Gefühl der Schwere an, das sich mit jedem Meter, den sie ihrem Ziel näher kamen, zu verstärken schien. Er versuchte, das Gewicht abzuschütteln, indem er an schöne Dinge dachte: an das wärmende Kaminfeuer im Gästehaus, an die sonnenbeschienenen Felder, an Marie und an das ungeborene Leben, das sie in sich trug. Aber als sie die Landstraße verließen und bei dem alten Brunnen auf den Feldweg abbogen, der nach Thannsüß hinaufführte, nahm der Druck auf seinen Schultern weiter zu.
Sie überquerten die Hochebene und dann die Brücke über den Schmelzwasserfluss. Die Brücke knirschte und ächzte, der Fluss donnerte weiß schäumend darunter hinweg. Erik erschauerte, als er daran dachte, was der Fluss ausgespuckt hatte und was er vielleicht noch ausspucken würde. Dann fuhren sie in den dunklen Tannenwald hinein, und während der Weg höher und höher stieg, schloss Erik das Fenster und schaltete die Heizung ein. Mit einem Mal war ihm sehr kalt.
Sie passierten den alten Förderturm, das aufgegebene Arbeiterdorf und den Bergwerksstollen, und schließlich den Ortseingang von Thannsüß.
L inkerhand des Weges tauchte der Pfarrhof auf, und dahinter die weiße Kirche. Erik folgte der Hauptstraße. Vor Xaver Wredes Haus hielt er an.
„Da wären wir“, sagte er.
Wrede öffnete die Tür und stieg aus. Er schwankte leicht und hielt sich am Türrahmen fest. Erik glaubte schon, er würde wortlos verschwinden, als er sich plötzlich umdrehte und durch die geöffnete Tür ins Wageninnere beugte. Seine Augen lagen tief in dunklen Höhlen. Schließlich streckte er die gesunde Hand aus, und Erik ergriff sie.
„Sie haben mir das Leben gerettet“, sagte Xaver Wrede. „Ich werde es nicht vergessen.“
„Sie haben das meine gerettet. Wir sind quitt.“
Wredes Augen musterten Erik durchdringend. Noch einmal drückte er Eriks Hand. Dann schlug er die Tür zu. Erik sah ihm nach, während er langsam über die Hofeinfahrt davonging. Seine Frau öffnete die Haustür. Für eine Weile standen sie sich reglos gegenüber. Als Andrea ihren Mann schließlich in die Arme nahm und in Tränen ausbrach, gab Erik Gas und fuhr zurück zum Pfarrhaus.
Er parkte den Wagen auf der Wiese vor dem Gästehaus. Er blieb noch lange sitzen, die Hände auf dem Lenkrad, den Kopf gesenkt, und dachte nach. Dann stieg er aus. Im Gästehaus schürte er den Kamin an, um die Kälte aus dem Zimmer zu vertreiben. Anna hatte aufgeräumt und das Chaos beseitigt, das sie angerichtet hatte. Auf dem Tisch stand ein Krug mit kaltem Wasser, und Erik trank ihn leer. Er lauschte auf das Heulen des Windes, der über den Gletscher strich und die Fensterläden gegen die Hauswand schlug. Willkommen zu Hause, Sohn , sagte der Wind, und er sprach mit der Stimme seines Vaters.
Am nächsten Tag stand er lange vor dem Spiegel im Gästehaus. Er sah furchtbar aus. Sein dunkles Haar war zu lang und wirkte zerzaust und ungepflegt. Die Augen waren schwarz umschattet. Dunkle Barthaare überwucherten sein Gesicht wie Unkraut. Er erkannte sich selbst kaum wieder. Erik wog das Rasiermesser in der Hand, aber dann klappte er die Klinge wieder ein und steckte das Messer in seine Hosentasche. Er nahm den Verband ab, der sein Ohr bedeckte. Blut sickerte aus der Wunde. Einige Minuten starrte er reglos in den Spiegel. Schließlich legte er einen frischen Verband an.
Er warf einen Blick auf seine Uhr. Es war früher Nachmittag. Als er die Tür des Gästehauses öffnete, wehte feiner Nieselregen über den Pfarrhof. „Dann wollen wir mal“, murmelte er und lief los. Er war dabei, seinen Teil der Abmachung mit Gutenberg und Wagner zu erfüllen.
Er ging direkt zu Felix Sonnleitners Haus. Nach dem zweiten Klopfen öffnete Felix die Tür einen Spalt breit. Er musterte Erik misstrauisch. Dann streckte er sich, so als wollte er über Eriks Schulter blicken.
„Hallo, Felix“, sagte Erik und hielt Sonnleitner die ausgestreckte Hand hin.
„Sie sind ja immer noch hier.“ Sonnleitner ignorierte die dargebotene Hand, zog die Tür aber ein Stück weiter auf. „Ich habe Ihnen doch gesagt, dass Sie von hier verschwinden sollen. Also, was wollen Sie?“
Erik sah, dass er eine Hand hinter dem Rücken
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