Der Teufel in Thannsüß (German Edition)
seine Hände auf ihre Schultern und lächelte. Dann standen sie der schweigenden, wartenden Menge Auge in Auge gegenüber.
„Ihr kennt unseren Lehrer, Erik Strauss!“, rief der Pfarrer. „Er unterrichtet unsere Kinder, und er unterrichtet sie besser, als ich selbst es je gekonnt hätte. Er ist zu einem festen Bestandteil unserer Gemeinschaft geworden. Er hat hier eine neue Heimat gefunden. Auf Erik!“
Der Pfarrer erhob sein Glas.
„Auf Erik“, murmelte die Menge.
Erik presste seine Kiefer aufeinander. Die Muskeln in seinen Wangen arbeiteten. Jemand reichte ihm ein gefülltes Glas, und er trank es aus.
„Und neben ihm steht seine wunderbare Frau, Marie Strauss“, rief der Pfarrer. „Sie ist schwanger, wie ihr hoffentlich bemerkt habt. Sie wird neues Leben in unsere Gemeinde bringen, wie eine Biene, die eine Blüte befruchtet, die ohne sie sterben und vergehen würde.“
Stimmen brandeten auf wie eine Welle, die auf die Küste zurollt. Sie klangen erregt und aufgebracht zugleich. Erik warf seiner Frau einen unruhigen Blick zu. Marie lächelte.
Wieder hob der Pfarrer sein Schnapsglas. „Auf Marie!“
„Auf Marie!“, rief die Menge.
Eriks Unwohlsein wuchs. Die ganze Szene erschien ihm unwirklich. Die Spannung im Raum war nicht abgeflaut, im Gegenteil: Fast glaubte er, die Luft knistern zu hören.
„Und jetzt“, sagte der Pfarrer leise, „nehmt Abschied von Lothar. Esst und trinkt auf sein Wohl. Wir werden sein Handeln niemals verstehen. Wir werden seine Entscheidung niemals gutheißen können. Und dennoch, gedenkt der schönen Momente ebenso wie der traurigen.“ Die Stimme des Pfarrers erstarb. „Ich danke euch.“
Erik spürte eine Berührung an seinem Arm. Er sah auf das Sofa hinunter, auf dem Agathe lag. Sie hatte die Hand erhoben und den Ärmel von Eriks Mantel gestreift. Die Hand hing zitternd in der Luft. Agathes schwarzes Auge war auf Erik geheftet. Für einen Moment durchzuckte die Vorstellung seinen Kopf, er könnte in dieses dunkle, leere Auge hineinfallen und darin ertrinken. Agathe holte mühsam Luft. Beim Ausatmen bebten ihre Lippen, so als wollte sie etwas sagen. Erik beugte sich langsam zu ihr hinunter.
„Wie geht es Ihnen?“, fragte er zögernd.
Das Zittern in ihrer erhobenen Hand wurde stärker. Dann formten ihre Lippen Worte, die im auf- und abwogenden Rauschen der Stimmen untergingen. Erik beugte sich tiefer hinunter und griff nach ihrer Hand.
Als ihre dürren Finger sich um die seinen schlossen, wusste er, dass er einen Fehler begangen hatte. Er wollte seine Hand zurückziehen, aber es war zu spät. Im nächsten Moment durchzuckte stechender Schmerz seinen Körper wie ein Stromstoß. Eine Schockwelle schoss seinen Arm hinauf und explodierte in seinem Kopf. Und dann waren Agathe Angerer, Marie, die Wohnstube und die Menschen darin verschwunden.
In der Dunkelheit schlägt sie die Augen auf. Ein dumpfer Knall hat sie geweckt, wie eine Explosion in weiter Ferne. Sie richtet sich in ihrem Bett auf. Das Echo des Knalls verhallt über den Bergen. Sie schwingt die Füße aus dem Bett und steht auf. Der Boden unter ihren nackten Fußsohlen zittert. Die sanfte Vibration pflanzt sich durch ihre Beine in ihren Rumpf und von dort in ihren Kopf fort. Sie tritt ans Fenster und blickt hinaus. Ein Gewitter tobt über dem Dorf. Doch der Knall, der sie geweckt hat, war kein Donner. Es war ein anderes, fremdes Geräusch. So dunkel, so tief. Die Vibration wird stärker. Der Wind schleudert Regen gegen die Fensterscheibe.
Die Vibration des Bodens nimmt zu. Ein finsteres Grollen schleicht sich unter das Toben des Sturms. Es wächst an, bis es alle anderen Geräusche übertönt. Das Grollen wird zu einem Reißen und Rutschen, Bersten und Krachen und Splittern, und der Boden bebt, als wollte der Berg das Dorf von seiner Flanke schütteln. Sie hält sich am Fensterrahmen fest, um nicht zu stürzen. Die Scheibe explodiert in einem Regen aus Glassplittern. Einige davon treffen sie, schneiden ihr die Haut auf, locken dunkles Blut darunter hervor. Regen prasselt ins Zimmer. Und in diesem Moment kommt die Angst. Es ist eine verschlingende, jeden Gedanken auslöschende Angst, die ihr alle Kraft nimmt, die sie erschlaffen lässt, die den Atem wimmernd aus ihren Lungen treibt. Ihre Beine geben nach, und sie stürzt zu Boden.
Sie weiß, dass sie sterben wird. Dies ist der Moment, der wieder und wieder in ihrem Kopf abläuft. Wie die Nadel eines Grammophons, die in der zerkratzten Rille
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