Der Teufel in Thannsüß (German Edition)
schoss Blut aus seiner Nase. Schließlich streckte er seine zitternde Hand aus. Der Pfarrer ergriff sie und zog ihn auf die Beine. „Warum machen Sie es uns so schwer, Erik?“
Eriks Blick glitt träge über den Pfarrer und die Menschenmenge in seinem Rücken. Dumpfer Schmerz pulsierte durch sein Gesicht. Er entdeckte Xaver Wredes bärtige Visage in der Menge. Wrede erwiderte seinen Blick, schüttelte stumm den Kopf und war im nächsten Moment in der Dunkelheit außerhalb des Lichtscheins der Lampen verschwunden. Erik starrte lange auf die Stelle, an der er gestanden hatte. In diesem Moment wurde ihm klar, dass er die Chance, die Xaver Wrede ihm eingeräumt hatte, leichtfertig verspielt hatte. Und er verfluchte sich dafür.
Als Benedikt zurückkam, hinterließen seine Schuhe rote Spuren im Schnee. Er hatte eine Hand auf Alberts Schultern gelegt und schob den Jungen vor sich her. Das Messer war aus Alberts Händen verschwunden.
Aufgeregtes Stimmengewirr erklang aus der Menge. Der Junge war über und über mit Blut beschmiert. Er sah aus, als sei er einem Gemälde von Hieronymus Bosch entstiegen. Albert zitterte noch immer am ganzen Körper. Benedikt blieb stehen und hielt den Jungen mit einer Hand am Kragen fest. Das Gemurmel der Menge schwoll an. Rufe wurden laut. Nur langsam wurde Erik bewusst, was sie forderten: Der Schuldige musste bestraft werden. Sie wollten Blut sehen.
Der Pfarrer hob eine Hand, und die Menge verstummte. Dann trat er einen Schritt vor und kniete sich vor Albert in den Schnee, so dass er auf Augenhöhe mit ihm war. Schweigend betrachtete er das rot verschmierte Gesicht des Jungen. Albert schniefte. Der Pfarrer holte ein Tuch hervor und fuhr dem Jungen damit übers Gesicht. „Albert, mein Junge“, sagte er sanft. „Was hast du getan?“
Schluchzer schüttelten Alberts Körper. Er antwortete nicht.
„Was hast du getan?“, rief der Pfarrer, legte seine Hände auf die Schultern des Jungen und zog ihn zu sich. Albert heulte laut und angstvoll auf. Der Pfarrer ließ von ihm ab und wischte sich die Hände im Schnee sauber. Er stand auf und blickte herausfordernd in die Menge. Dann erhob er die Stimme. „Wir dürfen nicht vorschnell sein in unserem Urteil. Denn der Herr spricht: Was siehst du den Splitter im Auge deines Bruders, doch den Balken in deinem eigenen Auge bemerkst du nicht?“
Die Anwesenden schwiegen. Der Pfarrer nickte und fuhr fort. „Aber die Bibel sagt auch: Und so sollst du mit ihm tun, wie er gedachte, seinem Bruder zu tun, damit du das Böse aus deiner Mitte wegtust, auf dass die anderen aufhorchen, sich fürchten und hinfort nicht mehr solche bösen Dinge tun in deiner Mitte. Leben für Leben, Auge für Auge, Zahn für Zahn, Hand für Hand, Fuß für Fuß!“
Die Menge brüllte ihre Zustimmung in die Nacht.
„Woher wollen Sie wissen, dass er es war?“, schrie Erik.
Benedikts Augen glitzerten im Licht der Petroleumlampen. „Weil wir ihn bei seinem grausigen Handwerk ertappt haben, Lehrer. Als wir das Haus betraten, war er mit Leib und Seele in sein blutiges Treiben vertieft. Er hat sie abgeschlachtet!“
„Seine eigenen Eltern“, murmelte der Pfarrer. „Und seine erbarmungswürdige Schwester. Hingeschlachtet von ihrem eigen Fleisch und Blut! Der Herr weiß, keiner von ihnen hat es verdient, auf so furchtbare Art zu sterben.“
Erik wandte sich der Menge zu. „Wer von euch war Zeuge dieser Tat?“, schrie er. Die Menge starrte ihn stumm und brütend an. „Sagt die Bibel nicht: Du sollst kein falsches Zeugnis ablegen wider deinen Bruder?“
Benedikt warf Erik einen hasserfüllten Blick zu. „Ich habe den Jungen mit roten Händen erwischt!“, fauchte er.
„Auf wessen Seite stehen Sie, Erik?“, rief Kathi schrill.
Die Menge wurde unruhig. Der Wind heulte in den Spalten des Gletschers und fauchte zornig über die Ebene.
„Glaubt ihr alles, was sie euch erzählen?“, schrie Erik. „Seit Jahren erzählen sie euch nichts als Lügen!“
Seine Worte gingen im ausbrechenden Tumult unter.
Die Menge rückte vor. Der Kreis schloss sich um Erik. Er wich zum Haus zurück und zog Albert mit sich. Dann war Benedikt plötzlich bei ihm, packte ihn mit beiden Händen am Kragen und versetzte ihm aus vollem Lauf einen Kopfstoß. Benedikts Stirn traf auf seine gebrochene Nase, und eine Welle des Schmerzes raste durch seinen Kopf. Er stürzte in den Schnee und versuchte von Benedikt wegzukriechen. Benedikt packte ihn an den Haaren und riss seinen Kopf in die
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