Der Teufel in Thannsüß (German Edition)
Dutzenden von Einstichen“, sagte Wagner. „Das hier ist kein banaler Mord, Herr Strauss. Das ist eine Hinrichtung. Jemand wollte ein Exempel an dieser Familie statuieren.“
Sie gingen langsam zum Haus zurück. Gutenberg musterte Erik von der Seite. „Christa Sonnleitner war Schwanger. Ich erinnere mich, Herr Strauss, dass Sie mir das bereits am Telefon erzählt haben.“
Erik nickte.
„Wir haben in der Küche eine Falltür gefunden. Sie führt in einen kleinen Vorratskeller. Eine Wiege steht darin. In den Regalen liegen Stoffwindeln, Babykleidung, Nahrung, Spielzeug. Für mich sieht es so aus, als habe sich jemand darauf eingerichtet, ein Kind in diesem Keller zu verstecken. Für eine lange Zeit.“ Er wandte sich dem Pfarrer zu. „Haben Sie eine Erklärung dafür?“
„Nein“, sagte der Pfarrer.
„Aha. Das dachte ich mir schon.“ Gutenberg schwieg für eine Weile und nahm seine Brille ab, um die Gläser vom Eis zu befreien. „Aber das ist noch nicht das Merkwürdigste.“
Er sah zu Benedikt und Kathi Brechenmacher hinüber und schüttelte langsam den Kopf, ehe er die Brille wieder aufsetzte und sich erneut dem Pfarrer zuwandte. „Das Merkwürdigste ist, dass in diesem Keller auch ein Bett steht. Ich möchte Ihnen die Details ersparen, aber ich verwette meine Zulassung darauf, dass in diesem Bett jemand entbunden hat. Christa Sonnleitner hat dort vor einem, allerhöchstens zwei Tagen ihr Kind zur Welt gebracht.“
Die Stille rauschte laut in Eriks Ohren. Die Kälte brachte ihn zum Zittern.
„Und hier kommt die große Preisfrage.“ Gutenberg lächelte finster. „Wo hat das Baby sich versteckt? Ist es noch im Haus? Treibt es sich im Dorf herum? Oder ist es bereits unterwegs auf den Gletscher, um sich in eine Spalte zu stürzen?“
„Sie reden ja irre!“ Benedikt schnaubte verächtlich.
„Aha. Dann sagen Sie mir, Herr Angerer: Wo ist das Baby?“
„Woher soll ich das wissen, Quacksalber?“
„Haben Sie das Haus durchsucht?“
„Ja, das haben wir.“ Der Pfarrer sah zu Boden. „Aber wir haben das Kind nicht gefunden.“
„Sind Sie da auch ganz sicher?“, fragte Erik leise.
Der Pfarrer nickte. „Wir wissen nicht, wo es ist.“
Gutenberg verzog den Mund zu einem spöttischen Grinsen. „Da hat das Kind wohl großes Glück gehabt, hm?“
Der Pfarrer stieß die Spitze seines Stocks in den Boden und blickte verärgert auf. „Wovon, zum Teufel, reden Sie?“
„Zum letzten Mal: Wo ist das Kind?“
„Zum letzten Mal: Ich weiß es nicht! Sind Sie taub? Aber falls Sie vorhaben, nach dem Kind zu suchen, rate ich Ihnen, sich zu beeilen. Ein Sturm zieht auf. Falls das Kind irgendwo hier draußen ist, überlebt es nicht lange.“
Gutenberg wandte sich Erik zu. „Es waren jede Menge Leute hier. Jeder könnte das Kind genommen haben. Sollen wir das ganze Dorf nach ihm absuchen, an jede Tür klopfen?“
„Vielleicht hat der Junge es weggeschafft“, sagte der Pfarrer.
Gutenberg sah von Thomas Hellermann zu Albert und schüttelte den Kopf. „Das ist doch Blödsinn.“ Dann wandte er sich Erik zu. „Was meinen Sie?“
„Ich will zu meiner Frau. Und ich will endlich hier weg! Dieses Kind ... es ist nicht unsere Angelegenheit. Meine Frau ist schwanger. Ich sorge mich mehr um mein eigenes Kind!“
Gutenberg rückte seine Brille zurecht. Dann beugte er sich zu Erik hinüber, bis seine Lippen beinahe sein Ohr berührten. „Sie wissen, was die mit ihren Kindern anstellen. Wollen Sie das wirklich zulassen?“
Etwas zog und zerrte an Eriks Eingeweiden, als wollte es sie aus seinem Bauch reißen. „Nein. Das will ich nicht.“ Er sah zur Seite und fand Wagners stechenden Blick. Er erinnerte sich an das Versprechen, dass er Gutenberg und Wagner gegeben hatte. Er senkte die Augen auf den Boden. In seinem Kopf tauchte wieder und wieder das Bild seines kleinen Bruders Hendrik aus der Dunkelheit auf, in die er es verbannt hatte. Hendrik lag unter der eingestürzten Bunkerdecke und blickte flehend zu ihm auf. Blut quoll über seine Lippen. Schließlich hob Erik den Blick. Gutenberg sah ihn erwartungsvoll an.
„Ich werde Ihnen helfen“, sagte Erik mit rauer Stimme. Im selben Moment wurde ihm bewusst, dass er einen schweren Fehler beging. „Danach verschwinden wir so schnell wie möglich von hier. Versprechen Sie mir das!“
Gutenberg sah ihn prüfend an. Dann nickte er. „Wir suchen das Kind. Sobald wir es gefunden haben, verlassen wir diesen scheußlichen Ort. Das Kind nehmen wir
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