Der Teufel in Thannsüß (German Edition)
verklang in der Nacht. Der Sturm zerrte die Reste der Bretter in die Finsternis, doch die schwere Glocke blieb liegen, halb begraben von Erdreich und Schnee.
Der Pfarrer heftete seine fiebrigen Augen auf Erik. „Wir haben einen Pakt geschlossen!“, schrie er, und seine Lungen rasselten lauter als der Donner. „Das Unglück wurde ungeschehen gemacht. Thannsüß wurde wieder aufgebaut. Wir haben den Tod besiegt in jener Nacht!“
„Und was war der Preis?“, keuchte Erik. „Was war der Preis für all das?“ Er versuchte aufzustehen, doch seine Beine knickten unter ihm weg. Er stürzte zurück auf die Erde.
Der Pfarrer zog die Mundwinkel nach unten. „Der Preis erschien uns gering.“ Blitze rissen sein verzerrtes Gesicht aus der Dunkelheit. „Wir haben den Tod besiegt!“, schrie er. „Unsere Väter und Mütter, Ehemänner und Ehefrauen, Kinder und Großeltern wurden ins Leben zurückgeholt! Sie entstiegen den Trümmern unversehrt.“
„Unversehrt?“ Erik schnaubte ungläubig. Frisches Blut schoss aus seiner gebrochenen Nase. „Ich verstehe es jetzt. “ Er schluckte. „Ich verstehe es. Kanter, Wredes Tochter, Benedikts Frau, Lothars Familie ... Sie sind nichts als leere Hüllen.“
„Sie durften weiterleben!“, rief der Pfarrer. „Der Preis dafür war das Leben derer, die noch nicht geboren waren.“
„Der Preis waren eure Kinder!“, schrie Erik. Seine Stimme versagte. Tränen liefen über sein Gesicht. „Ihr tötet eure Kinder!“
„Als wir den Pakt schlossen, waren sie nicht unsere Kinder“, rief der Pfarrer. Seine Lippen zitterten. „Sie waren ein Gedanke, das verschwommene Bild einer möglichen Zukunft. Sie waren keine Wesen aus Fleisch und Blut. Sie waren nicht greifbar, so wie unsere Angehörigen, unsere Freunde, unsere Liebsten, die mit zerquetschten Gliedern unter den Trümmern des Gletschers lagen!“ Der Pfarrer sog rasselnd Luft ein. „Um ihr Leben zu retten, waren wir bereit, das Leben derer, die nur ein ferner Gedanke waren, zu opfern.“
„Aber ihr tötet eure Kinder!“, schrie Erik.
„Ihr Leben für unseres. Ein fairer Tausch, finden Sie nicht? Der Herr spricht, das Leben sei heilig. Wenn man also vor der Wahl steht, das eigene Leben wegzuwerfen oder es durch das Opfer eines anderen Lebens zu retten, wie sonst sollte man sich entscheiden?“
„Sie sind verrückt, Sie verdammter alter Scheißkerl!“
Der Pfarrer legte den Kopf schief. Ein Blitz ließ sein Gesicht aufflackern wie weißes Feuer. „Zwei Familien wollten sich nicht an die Abmachung halten“, sagte er leise. „Ihre Häuser wurden nicht zerstört in jener Nacht. Sie haben niemanden verloren unter dem Eis. Dennoch haben auch sie den Vertrag unterzeichnet. Die erste Familie wollte ihn brechen, ungeachtet der Konsequenzen, schon vor langer Zeit. Wir haben sie bestraft. Wir haben sie schrecklich bestraft, und wir dachten, es würde alle anderen davon abhalten, dieselbe Torheit zu begehen. Aber eine zweite Familie wollte nicht hören. Sie wissen, von wem ich spreche, nicht wahr?“
„Die Sonnleitners“, flüsterte Erik, und neue Tränen quollen zwischen seinen zusammengepressten Augenlidern hervor. Es waren Tränen der Wut, der Trauer und der Hilflosigkeit.
„Sie hielten sich für klüger.“ Der Pfarrer ließ ein bitteres Lachen hören. „Sie dachten, es würde niemand bemerken, wenn sie dem Teufel eine Ziege anstelle ihres neugeborenen Kindes opfern. Eine Ziege!“
„Ihr wart es. Ihr alle! Ihr habt sie abgeschlachtet.“
„Sie haben den Pakt gebrochen!“, schrie der Pfarrer. „Wir mussten sie bestrafen. Wir mussten ein Exempel statuieren! Haben Sie eine Ahnung, welche Folgen dieser Betrug für uns alle hätte?“ Der Pfarrer schüttelte den Kopf. „Nein. Das übersteigt Ihre Vorstellungskraft.“ Er verzog den Mund zu einem grimmigen Lächeln. „Dank Ihrer Hilfe haben wir wenigstens das Kind gefunden. Vielleicht können wir das Schlimmste noch abwenden.“
„Sie wollen es umbringen“, flüsterte Erik. „Tun Sie das nicht, bitte.“
„Sein Leben für unseres. Ein Wesen stirbt, damit die anderen leben können. Das ist der Lauf der Welt. Es war immer so, und es wird so sein bis ans Ende aller Zeiten.“ Der Pfarrer zog die Lippen hoch und bleckte die Zähne. „Das also ist die Wahrheit, Erik“, sagte er leise. „Sind Sie glücklich, dass Sie das Geheimnis kennen?“
Der Lehrer schüttelte den Kopf. Alles in ihm fühlte sich kalt und taub an. Tränen strömten aus seinen Augen. Sie
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