Der Teufel in Thannsüß (German Edition)
der Wind den Knall des Einschlags heran. Flammen schlagen aus dem rechten Triebwerk. Eine dunkle Rauchsäule quillt daraus hervor, Funken brennen die Flugbahn der Ju 88 in den Himmel. Die Maschine beginnt beinahe augenblicklich zu sinken. Das Flugzeug wird langsamer, während es an Höhe verliert. Die anderen Maschinen ziehen an ihm vorbei, lassen es bald hinter sich zurück. Das Dröhnen ihrer Motoren wird leiser und verklingt schließlich ganz, als sie den Gipfel des Großen Kirchners überfliegen und in der Dunkelheit verschwinden. Die getroffene Ju 88 sinkt tiefer, lautlos, scheint größer zu werden. Bald erkennt Erik Details: den gepanzerten Rumpf, die Bombenlast unter den Tragflächen, die beiden Triebwerke, von denen eines in Flammen steht, die verglaste Pilotenkanzel und die runde Glaskuppel des Bordschützen.
Drohend ragt der Gipfel des Großen Kirchners in den Himmel. Das Flugzeug steuert direkt darauf zu. Im letzten Moment gelingt es dem Piloten, die Nase der Maschine hochzuziehen. Die Ju 88 segelt lautlos über den Hängegletscher hinweg. Kurz bevor sie außer Sicht gleitet, lösen sich die beiden Bomben von ihren Tragflächen. Gleichzeitig öffnet sich der Bombenabwurfschacht. Dann ist die Maschine verschwunden. Ein Moment der Stille folgt ihr wie die schwarze Rauchsäule, die sie hinter sich herzieht. Dumpf prasselt der Regen auf die Wiese vor dem Pfarrhof. Das grüne Gras wiegt sich sacht im Wind.
Erik presst seine Hände auf den Boden und fühlt die zarten Halme, spürt das feuchte Erdreich darunter. Es fühlt sich so lebendig an. Dann beginnt die Erde zu zittern, als hätte ein Riese seinen Fuß auf die Hochebene gesetzt. Das Donnern zweier dicht aufeinander folgender Explosionen rollt heran. Erik hebt sein Gesicht zum Gletscher empor. Die Erde bebt unter seinen Händen, und es fühlt sich an wie das Schlagen eines riesigen Herzens. Dann hört er ein dumpfes Grollen. Es brandet die Flanke des Großen Kirchners hinab wie eine sich auftürmende Welle. Lauter und lauter wird das Grollen, immer heftiger bebt die Erde. Erik hebt den Kopf, und als sein Blick auf den Grimboldgletscher trifft, hat er das Gefühl, als habe der Überhang seine Lage verändert. Es dauert nur einen Sekundenbruchteil, bis er begreift, was geschieht.
De r Gletscher bricht ab.
Tausende Tonnen Eis und Gestein stürzen die Felswand hinab. Eisblöcke, groß wie Flaktürme, rasen durch die Finsternis, prallen gegen die Flanke des Berges, bersten und driften auseinander, schlagen schließlich auf dem Boden ein wie Hammerschläge. Erik hört Schreie. Als er um sich blickt, sieht er die Menschen von Thannsüß. Sie kommen aus ihren Häusern gelaufen, kommen aus allen Richtungen. Sie bleiben wie angewurzelt stehen und deuten in den Himmel, deuten auf den Gletscher, deuten auf die riesigen Trümmer, die auf Thannsüß niedergehen. Und sie schreien. Ein Krachen und Schaben und Brechen und Splittern und Brüllen erfüllt den Himmel über dem Dorf, das den Gewittersturm verblassen lässt, das Geräusch des Windes auslöscht, das Prasseln des Regens unter sich erstickt. Neben sich sieht Erik den Pfarrer durch die Finsternis hasten. Er sieht jünger aus, kräftig, gesund. Seine Stimme hallt laut über das Chaos. Er befiehlt den Leuten, sich in der Kirche in Sicherheit zu bringen.
Sie vertrauen ihm. Sie folgen ihm wie Schafe. Sie stürmen auf die Kirche zu. Längst hat jemand die Pforte geöffnet, und die Einwohner von Thannsüß strömen in den kleinen weißen Bau wie ein Menschenfluss.
Eissplitter regnen auf das Dorf nieder wie Hagelkörner. Erik kriecht rückwärts, bis sein Arm einen Baumstamm zu fassen bekommt. Weiße Blüten, abgerissen von den scharfkantigen Eissplittern, regnen auf den Pfarrhof von Thannsüß wie Schneeflocken. Der Wind verteilt sie über der Wiese, hebt sie hoch in die Luft, trägt sie mit sich fort, wie er auch die Schreie der Menschen mit sich fort trägt.
Dann schlägt der erste Eisbrocken auf dem Pfarrhof ein, er ist größer als ein Panzer. Die Erde ächzt und bäumt sich auf, als er sich in den Boden bohrt. Ein weiterer Eisblock durchschlägt das Dach des Gästehauses, reißt die vordere Wand ein. Ein Eisklumpen zerfetzt den Kirchturm , teilt ihn fast in zwei Hälften. Der Turm neigt sich und fällt. Als er auf der Erde aufschlägt, gibt die Glocke einen letzten hohlen, klagenden Ton von sich.
Und dann stürzen Tausende Tonnen Eis und Fels aus dem Himmel und machen das Dorf dem Erdboden gleich,
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