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Der Teufel in Thannsüß (German Edition)

Der Teufel in Thannsüß (German Edition)

Titel: Der Teufel in Thannsüß (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rupert Mattgey
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stürzte er in die Finsternis, in der fremde Bilder aufflackerten und vergingen wie zuckende Flammen in einem Ofen.
     
    Das Weinen und Klagen der Menschen von Thannsüß steigt über den Trümmern in den Himmel, mischt sich mit dem Rauch, verweht mit dem Sturm. Es übertönt das Knistern des Feuers, das Prasseln des Regens, das Grollen des Donners. Blitze schlitzen den Himmel auf wie Rasierklingen. Der Fremde, dessen hünenhafte Gestalt aus der Menge ragt wie ein Obelisk, tritt aus dem Kreis der Menschen, die sich um ihn versammelt haben. Der Regen fließt über seinen haarlosen Schädel wie Wasser über einen glattpolierten Stein. Er schreitet durch die fallenden Blüten. Wo er seinen Fuß auf die Erde setzt, verdorren die Blüten, krümmen sich, werden welk und schwarz. Auf dem Pfarrhof, inmitten der Trümmer und des Eises, inmitten des Wehklagens, bleibt er stehen und wendet den Kopf zum Himmel. Regen prasselt auf sein Gesicht. Er murmelt unverständliche Worte in einer unbekannten Sprache. Der Sturm gewinnt an Kraft, faucht durch die Ruinen, reißt Holz und Steine in die Nacht.
     
    Blitze zucken über den schwarzen Himmel. Donner brüllt über die Ruinen des Dorfes hinweg. Der Fremde formt seine Hände zu Klauen, als wollte er die riesigen Eisbrocken, die Trümmer und das Chaos damit packen und festhalten. An seinen Schläfen quellen Adern hervor wie Seilstränge. Die Sehnen an seinem Hals spannen sich an, als versuchten sie durch seine Haut zu brechen. Ein Schrei beginnt aus seinem verzerrten Mund zu fließen wie Wasser, schwillt an, wird zu einem Fluss, zu einem reißenden Strom. Der Schrei übertönt das Toben des Sturms.
    Die Arme des Mannes zittern, als ringe er mit den Naturgewalten. Dann hebt er sie langsam in den Himmel, und Eis und Stein, tonnenschwere Trümmer, hausgroße Felsen folgen der Bewegung seiner Arme. Er stemmt sich gegen eine unsichtbare Gewalt, gegen die Gesetze der Physik. Sein S chrei löscht alles andere aus.
    Dann schreitet er plötzlich voran, streckt seine Arme weit von sich. Die Erde bebt, als Tausende Tonnen Eis und Gestein in Bewegung geraten und den Befehlen seiner zu Klauen geformten Hände Folge leisten.
    Sein Schrei bricht abrupt ab. Er reißt die Arme in den Himmel und treibt die Trümmer des Gletschers die fast senkrechte Felswand des Großen Kirchners hinauf. Er stöhnt, er keucht, er wimmert. Die Anstrengung bringt ihn fast um. Das Getöse des aufwärts schießenden Gesteins, des an der Wand reibenden und splitternden Eises ist lauter als das Donnern des Gewitters, lauter als das Brausen des Windes, lauter als die entsetzten Schreie der Überlebenden, die auf die Knie sinken, sich bekreuzigen, die Gesichter und Hände schluchzend und flehend zum Himmel recken.
    Der Mann stemmt sich gegen das Gewicht des Gletschers, während er das Eis die Flanke des Berges empor schiebt. Blut läuft aus seiner Nase, aus seinen Ohren, aus seinen Augen. Das Gras, auf dem er steht, wird welk und braun. Die Erde darunter wird schwarz. Der Fleck zu seinen Füßen wuchert und breitet sich aus wie ein Krebsgeschwür, so als würde der Mann alle Kraft und alles Leben aus der Erde heraussaugen und durch seine Arme in die Trümmer leiten, um ihnen seinen Willen aufzuzwi ngen.
    Fünf Tage lang schiebt er den Gletscherabbruch den Berg hinauf, treibt ihn zurück auf den Gipfel des Großen Kirchners. Fünf Tage, in denen der schwarze Fleck zu seinen Füßen wächst und über den Kirchhof kriecht wie ein unsichtbares Feuer, das nichts als verbrannte und tote Erde zurücklässt.
    Am sechsten Tag errichtet er die Häuser von Thannsüß neu.
    Am siebten Tag holt er die Toten zurück, und die Tiere des Waldes verstummen.
     
    Der Lehrer erwachte. Grelle Blitze rissen Fragmente aus der Zeit, wie die Aufnahmen einer Kamera, die im Moment ihrer Entstehung bereits Vergangenheit sind. Der Pfarrer stand noch immer über ihm. Schneeflocken wirbelten um ihn herum , hüllten ihn ein und schmolzen auf der warmen, fauligen Erde. Nur wenige Sekunden waren vergangen. Der Donner brachte Eriks Ohren zum Klingen.
    Plötzlich spaltete ein Blitz den Kirchturm von der Spitze bis zum Fundament. Der Turm fiel auseinander, als ob eine Axt ihn in zwei Hälften geschlagen hätte. Der Wind griff gierig unter die Bretter. Die Turmspitze mit der Glocke raste durch das Schneetreiben auf den Pfarrhof zu. Sie schlug dumpf auf dem Boden auf, und Holzsplitter, Schnee und Erde explodierten in alle Richtungen. Der letzte Glockenschlag

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