Der Teufel in Thannsüß (German Edition)
unterwegs.“
Das Ticken hunderter Uhren erfüllte das Pfarrhaus. Und hinter dem hellen Geräusch der tickenden Zeiger lag dunkel und schwer das konstante Schnurren und Schaben und Klackern und Rattern der Uhrwerke, deren Zahnräder unermüdlich und unaufhaltsam ineinander griffen, während sie die Zeit im Inneren ihrer Mechanik zermalmten.
Er klopfte an die Schlafzimmertür. „Ich bin es. Erik. Ich bringe Ihnen Ihren Tee.“
„Erik!“ Der Pfarrer klang erfreut. „Treten Sie ein.“ Er lag auf dem Bett, die Decke bis zum Kinn hochgezogen. Das Radiogerät neben dem Kamin spielte leise Musik. Thomas Hellermann sah ihn aus kleinen Augen an. „Ah, Sie bringen meinen Tee, das ist zu freundlich. Stellen Sie ihn auf dem Nachttisch ab, bitte. Er dürfte zu heiß sein, um ihn gleich zu trinken. Und seien Sie so gut und schalten Sie das Radio ab, damit wir uns ungestört unterhalten können.“
Erik durchquerte das Zimmer und platzierte die Tasse vorsichtig auf dem kleinen Tisch neben dem Bett. Dann drehte er sich zu dem Radiogerät um. Die Musik war verstummt, ein Sprecher verlas gerade die Nachrichten. „Der Fall der vor zwei Tagen bei Weißenbach gefundenen mumifizierten Säuglingsleiche gibt der Polizei nach wie vor Rätsel auf. Noch ist unklar, wie lange das Kind im Gletscher gelegen hat. Die Untersuchungen dauern an. Die Polizei kann ein Verbrechen nicht ausschließen und bittet die Bevölkerung um ihre Mithilfe.“
„Schalten Sie das ab, bitte“, sagte der Pfarrer müde.
Der Sprecher fuhr fort: „Düstere Erinnerungen werden wach an einen ähnlichen Fall vor vier Jahren, als ...“
„Schalten Sie das ab!“ Der Pfarrer richtete sich auf.
Erik beugte sich zu dem Radiogerät hinunter und schaltete es aus. „Worum geht es da?“, fragte er zögernd.
Der Pfarrer sank zurück auf sein Kissen. „Was weiß ich. Mord und Totschlag allerorten! Ich kann es einfach nicht mehr hören. Verzeihen Sie mein Aufbrausen.“
„Schon gut.“ Erik trat neben das Bett. „Wie geht es Ihnen?“
„Oh, es geht schon. Mein Brustkorb schmerzt, ich habe viel gehustet heute Nacht und entsprechend schlecht geschlafen. Ich hoffe doch, Sie haben sich amüsiert, Erik?“
„Es war ein schönes Fest. Auch wenn mir der Schnaps nicht sonderlich gut bekommen ist.“
„Nun ja. Wenn Sie mir die Bemerkung gestatten: Sie sind im rechten Moment umgekippt. Es war allerhöchste Zeit für mich. Sie hätten Anna erleben sollen!“ Er lachte laut auf.
„Hören Sie, Thomas, ich wollte Sie etwas fragen.“
„Das dachte ich mir schon. Fragen Sie. Es ist wegen des Lamms, habe ich Recht?“
Erik nickte. „Warum haben Sie mich dazu gedrängt?“
Der Pfarrer seufzte. „Wenn ich gewusst hätte, wie schwer es Ihnen fällt, wäre ich gar nicht auf den Gedanken gekommen. Betrachten Sie es bitte als Ehre. Eigentlich wäre es meine Aufgabe gewesen, aber ich habe Sie daran teilhaben lassen. Das Lamm war mein Geschenk für Benedikt und für den Herrn, und so wurde es zu unserem Geschenk.“
„Hätte sich Benedikt über ein lebendiges Lamm nicht mehr gefreut?“
„Oh, das glaube ich nicht. Wir haben das Lamm in seinem Namen geopfert, dem Herrn zu gefallen. Befahl nicht der Herr dem Abraham, ihm seinen Sohn zu opfern? ‚Nimm Isaak, deinen einzigen Sohn, den du liebst, und geh hin in das Land Morija und opfere ihn dort zum Brandopfer auf einem Berg, den ich dir sagen werde.’ Und brachte nicht Abraham, nachdem Gott seinen Sohn vor dem Tod bewahrt hatte, dem Herrn ein dreitägiges Schafsopfer dar?“
„Mag sein.“
„Die Opferung des Lamms zeugt von unserer Dankbarkeit. Für die fruchtbaren Böden des Berges, die reichen Ernten, die Gnade Gottes, die uns mit jedem neuen Tag, mit jedem Sonnenaufgang zuteilwird. Außerdem dürfen Sie eines nicht vergessen, Erik. Wir haben hier oben nicht nur unseren Glauben, sondern auch unseren Aberglauben. Davon haben wir mehr als genug. Sie würden nicht glauben, welch große Rolle dieses alte Brauchtum für die Meisten hier oben noch spielt. Die Wissenschaft mag die Geister aus den Städten vertrieben haben, aber bei uns in den Bergen sind sie noch sehr lebendig. Wenn ein Unwetter über dem Ort tobt, schließen die Leute ihre Fensterläden, aber nicht nur, um den Wind draußen zu halten, sondern auch die Geister und Dämonen, die auf dem Wind reiten. ‚Die Wilde Jagd’, so nennt man sie hier in der Gegend. Wie Sie selbst gesehen haben, malen die Leute Kreuze auf die Türen ihrer Häuser, um den
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