Der Teufel in uns - Mord in Bonn
zu der Straße. Sein Auto parkte vor einem heruntergekommenen Hotel. Wohnte er dort, oder ging das Casting in einem der Zimmer weiter?
Tina musste auch das jetzt wissen! Sie stellte ihr eigenes Auto so an einer Ecke ab, dass sie Jonas’ Wagen im Blick hatte. Dann wartete sie. Es wurde 21 Uhr, 22 Uhr. Irgendwann nickte sie kurz ein, aber als sie gegen 22.15 Uhr aufschreckte, stand der Wagen immer noch vor dem Hotel.
Da sie die Nase voll hatte, entschied sie sich, einfach davon auszugehen, dass Jonas tatsächlich in der billigen Absteige wohnte und es niemandem sagte, weil er sich schämte. Gut, jetzt kannte sie sein kleines Geheimnis.
Tina gähnte und machte sich müde, hungrig und mit sehr voller Blase auf den Heimweg nach Buschdorf.
*
Bonn, Polizeipräsidium - Mittwoch, 7. Mai, 7.45 Uhr
Seit über einer halben Stunde saß Sascha bereits am Schreibtisch, beschäftigte sich mit Religion und mit Sekten und glaubte ganz plötzlich, eine Erkenntnis über sich selbst zu haben.
Andere Menschen anzulügen mochte eine Sünde sein, aber sich selbst zu belügen war einfach nur dumm, denn dann entwickelte man sich nicht weiter. Statt zu behaupten, er habe so früh das Haus verlassen, um Annika in Ruhe weiterschlafen zu lassen, konnte er doch einfach dazu stehen, dass er keine Lust auf irgendwelche frühmorgendlichen Auseinandersetzungen gehabt hatte. Im Moment belegte sie ihn maßlos mit Beschlag, und er brauchte dringend mehr Freiraum. Wo sollte das noch enden? Was konnte er -
Die Tür ging auf, Andreas kam herein, lang und dünn wie immer. Das grau melierte Haar fiel wellig über seinen Hemdkragen, die graublauen Augen musterten Sascha mit leichter Verwunderung.
„Morgen. Du siehst aus, als hättest du die ganze Nacht im Büro verbracht.“
„Nein. Mir geht es gut.“
„Na, na, du sollst doch nicht lügen! Frisch mal ein bisschen dein Bibel-Wissen auf, du Heide! Das wär auch gut für unseren aktuellen Fall.“
„Alles klar. Ich werde mich mit Jörg zusammentun, der ist streng katholisch“, meinte Sascha und reichte Andreas eine Liste mit Sekten-Aktivitäten über den Schreibtisch, die er vorhin aufgestellt hatte.
„Jörg? Katholisch? Das wüsste ich aber! Hast du schon was vom Tatort im Fall Baum gehört?“ Andreas zog auch ein paar Listen aus einer Mappe.
„Ich weiß nur, dass die gleich aufbrechen, um weiter nach Spuren zu suchen.“
„Gut. Und was machen die Ermittlungen im Fall Hedwig Bach?“
„Da sind Manfred und Petra dran, aber da gibt’s noch nichts Neues.“
„Hab ich mir schon gedacht, wir haben null Anhaltspunkte. Dann also auf zum lustigen Listenvergleich.“
Zwei Stunden später hatten sie neun Leute ausfindig gemacht, die erstens Hartz-IV-Empfänger waren und im letzten Jahr von Manfred Baum betreut worden waren, die sich zweitens einen Namen als Randalierer gemacht und sich drittens als besonders religiös geoutet hatten.
„Das geht ja noch, ich hatte mit mehr gerechnet.“ Andreas stand auf. „Die sehen wir uns jetzt alle mal an.“
*
Bonn, Königstraße - 16.55 Uhr
Der Flieder blühte prächtig dieses Jahr. In Weiß, Helllila und Dunkellila. Auch der Rasen wuchs gut. Zu gut. Bald war Rasenmähen fällig.
Liselotte notierte auf einem Zettel, dass sie mit ihrem Gärtner telefonieren müsse. Zettel und Stift hatte sie immer dabei, weil ihr Gedächtnis doch arg nachgelassen hatte. Ihr Blick schweifte noch einmal kurz durch den Garten, über die wunderschön gewachsene Zeder, über die gewaltige Kiefer, über den weiß blühenden Jasmin, dessen Duft bis zur Terrasse drang, zurück zu dem Buch, das sie gerade las. Was hatte sie es doch schön hier!
Liselotte trank einen Schluck Kaffee und widmete sich dem Roman, der im Mittelalter spielte und an manchen Stellen so spannend war, dass ihr Herz beängstigend klopfte. Ihre Kinder hätten mit ihr geschimpft, wenn sie gewusst hätten, was sie da las.
Liselotte war noch nicht weit gekommen, als sie meinte, es könne an der Haustür geklingelt haben. Sollte sie einfach so tun, als sei sie nicht daheim? Vielleicht hatte sie sich auch verhört. Trotzdem stand sie ächzend von der Gartenbank auf und begab sich ins Wohnzimmer, wo sie erst einmal stehen blieb. Und schon klingelte es zum zweiten Mal.
Mit vorsichtigen Schrittchen machte sie sich auf den Weg zur Haustür. Nicht über eine Teppichkante stolpern, nicht am Telefonkabel hängen bleiben, ja nicht auf den Fliesen ausrutschen.
Besuch erwartete sie nicht.
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