Der Teufel kommt raus: Kriminalroman
läuft’s, Bruderherz? Ein Vorschlag«, verkündete Camille, als sie endlich dazu kam, mich einzuladen, mit dem typischen dringlichen Unterton in der Stimme. Was immer sie gerade tut, ist ausnahmslos das Allerwichtigste im gesamten Universum. Camille könnte nach der Uhrzeit fragen und dabei klingen, als hinge das Schicksal der westlichen Welt von einer sofortigen Antwort ab.
»Ich hab heute Abend ein paar Leute eingeladen. Ein paar beeindruckende Frauen sind auch dabei. Eins könnte zum anderen führen – wer weiß – Mama könnte sogar das Enkelkind kriegen, über dessen Fehlen sie sich ständig beklagt.«
Ich musste gegen meinen Willen lachen. Camille konnte mit ihrem Charme schon immer alle einwickeln. Wir wissen beide, dass ihre Einladung auf den letzten Drücker eine Entschuldigung dafür sein soll, dass sie es nicht zu mir ins Krankenhaus geschafft hat.
Also fuhr ich ein paar Minuten später in die Innenstadt zu dem winzigen Hochhaus, in dem sie wohnt, das über ein vom Sicherheitsdienst patrouilliertes Parkhaus, eine Video-Türsprechanlage, überfreundliches Empfangspersonal und eine gediegen ausgestattete Lobby verfügt.
Camille, die knapp acht Zentimeter kleiner ist als ich, umarmt mich ungestüm, als ich ihre Wohnung im 19. Stock betrete. Die Kraft in ihren Armen deutet darauf hin, dass ihre Mitgliedschaft im Fitness-Studio noch aktiv ist und gute Verwendung findet.
»Wie sehe ich aus?«, fragt sie und führt mir ein unscheinbares türkisfarbenes Kleid mit Puffärmeln und einer lachhaft hässlichen schwarzen Schleife vorne dran vor. Das Outfit sieht aus wie eine Kreuzung zwischen einem Kleid, wie es Shirley Temple getragen hätte, und dem einer Südstaatenschönheit vor dem Sezessionskrieg.
Selbstverständlich lüge ich und versichere ihr, dass sie wunderbar aussieht, wobei ich ihr lieber nicht in die Augen sehe. »Was trägst du da für ein Parfüm? Es gefällt mir.«
»Issey Miyake«, antwortet Camille und toupiert eitel ihre Haare mit einem Kamm. »Danke, dass du es bemerkt hast.«
Weil ich finde, dass es ein gutes Geschenk abgeben würde, will ich sie schon nach dem Preis fragen, sehe aber davon ab. Wozu die Mühe? Camille interessiert sich grundsätzlich nur für Schweineteures.
»Wo ist denn nun die Party?« In der Hoffnung, mich nicht zum Deppen gemacht zu haben, indem ich am falschen Abend aufgekreuzt bin, sehe ich mich in Camilles verlassener Wohnung um.
»Schätzchen, glaubst du, ich lasse die Leute hier durchtrampeln, meine schönen Sachen umschmeißen und mir den Teppich versauen? Also bitte! Sie können in den Empfangssaal gehen – dafür ist er schließlich da. Ich muss sowieso noch mal kurz runter. Bin gleich wieder da.«
Sie lässt mich auf ihrem weichen, beigefarbenen Ledersofa sitzen. Das ist das erste Mal, dass ich allein in Camilles Wohnung bin, was ich gnadenlos ausnutze. Raum für Raum inspiziere ich die Bude und spare mir das Wohnzimmer fürs große Finale auf. Ich scanne alles mit meinen Blicken und nehme begierig jedes von Ethan Allen inspirierte Detail in mich auf. Die Wohnung ist echt edel, auf eine Art, die lässige Eleganz verströmt. Wer hier lebt, verdient offensichtlich gut, ist damit aber so im Einklang, dass er sich nicht zu protzigem Kitsch hinreißen lässt.
Im Wohnzimmer ist eine ganze Wand in ein siebenstufiges Bücherregal umgewandelt worden, das sich vom Boden bis zur Decke erstreckt. Daran lehnt eine rollbare Bibliotheksleiter, natürlich aus Mahagoni.
Die übrigen Wohnzimmerwände sind pfirsichfarben, und auf dem Parkettboden liegt ein hellbrauner Teppich mit blauem Kreuz und Quer-Design. Über dem künstlichen Kamin, der mit weißem Marmor besetzt ist, hängt ein farbenfroher Romare-Bearden-Druck mit einer Jazzband.
Der sandfarbene Couchtisch aus Holz wird von einem dicken, gebundenen Buch mit dem Titel
Henry Moore: Sculpture and Environment
dominiert. Daneben liegt noch ein dünner Band mitSchwarzweißfotos,
I Dream a World: Portraits of Black Women Who Changed America
. Und natürlich ein gebundenes
Cartier
-Buch.
Während ich das alles begutachte, versuche ich zu schätzen, was es kostet. Zudem frage ich mich, ob Camille je einen müden Cent an irgendeine Wohltätigkeitsorganisation gespendet hat. Wie ich meine statusbewusste, egozentrische Schwester kenne, bezweifele ich das. Wenn die Frau je einen altruistischen Gedanken hatte, ist er an Einsamkeit eingegangen.
Aber eines bewundere ich an Camille, und zwar, dass sie keinen Hehl aus
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