Der Teufel kommt raus: Kriminalroman
verließ er die Redaktion, ein tristes Dorf aus grauen Arbeitsnischen, von denen jede über eine winzige Buchregalecke, einen Aktenschrank und neun Quadratmeter Wand verfügte, um Notizen oder Familienfotos aufzuhängen. Blassweißes Neonlicht kämpfte alles nieder, was sich an Sonnenlicht durch die Fenster stahl.
Jede Arbeitsnische bot dem darin eingesperrten Reporter oder Redakteur nur wenig Privatsphäre. Gespräche konnten mühelos mitgehört werden, darunter auch Unterhaltungen mit Quellen, Zankereien mit besseren Hälften und verstohlenes Geflüster mit Psychoanalytikern. Journalisten sind ungewöhnlich wissbegierig (man könnte es auch neugierig nennen), Menschen, deren Aufgabe darin besteht, zu spitzeln und zu spionieren.
In einer Redaktion gibt es keine Geheimnisse.
Aber es war der einzige Arbeitsplatz, den Cornelius Lawrence je gekannt hatte. Während er in seiner Arbeitsnische saß und sich noch einmal den Artikel auf der Titelseite durchlas, den er am Tag zuvor geschrieben hatte, konnte er sich nicht vorstellen, einem anderen Metier nachzugehen. Oder warum irgendjemand den Wunsch dazu verspüren sollte.
Sein Schreibtischtelefon riss ihn aus seinen Tagträumen. Cornelius ließ es dreimal klingeln, bevor er ranging. Es war seine Frau Stephanie, die wie ein süßes Schulmädchen klang.
»Hallo, Schätzchen.«
»Hallo, Stef, was gibt’s?«
»Nichts«, antwortete Stephanie kichernd. »Ich wollte dir nur sagen, dass ich dich liebe.«
»Ich liebe dich auch.«
»Tschau.«
»Bis heute Abend, Schätzchen.«
Das würde ein guter Tag werden.
Als Cornelius erneut nach der Zeitung greifen wollte, sah er auf seinem Computer eine E-Mail-Benachrichtigung aufblinken. Eine Nachricht von Merriwether mit der Bitte an Cornelius, bei der nächstmöglichen Gelegenheit bei ihm vorbeizuschauen.
Er gestattete sich ein kleines, selbstzufriedenes Lächeln. Merriwether schafft es wahrscheinlich jetzt erst, mir zu meiner Titelstory zu gratulieren, dachte er.
Nachdem er seine Zeitung sorgfältig zusammengefaltet und in einem Ordner verstaut hatte, in dem er seine alten Reportagen aufbewahrte, rückte Cornelius seine Krawatte gerade und begab sich zum Schreibtisch des Lokalredakteurs.
»Sie wollten mich sprechen?«
»Ja. Ich habe da ein kleines Problem, und ich hatte gehofft, dass Sie mir helfen können.«
»Klar, was immer Sie wollen.«
»Gehen wir in mein Büro«, sagte Merriwether salbungsvoll.
Cornelius’ Neugier war geweckt.
Ob ich eine Gehaltserhöhungkriege? Es muss was Gutes sein – ich hab’s im Gefühl. Engagement und harte Arbeit lohnen sich eben doch.
»Wie ich der Belegschaft schon vor einer Stunde mitgeteilt habe, hatte Darryl diese Woche ein bisschen Pech«, fing Merriwether an, nachdem sie Platz genommen hatten. »Ich wüsste es ungeheuer zu schätzen, wenn Sie heute für ihn einspringen könnten.«
Cornelius’ erste Reaktion war Enttäuschung. Er hatte sich schon darauf gefreut, Stephanie mit einer unerwarteten Gehaltserhöhung überraschen zu können. Das hätte ihr die Überstunden, die er regelmäßig beim
Herald
leistete, ein wenig versüßt.
Langsam machte die Enttäuschung Ärger Platz. Schließlich spielte er immer nach den Regeln – oder war er bloß ein gutgläubiger Trottel?
Nach sieben Jahren als
Herald
-Reporter, zwei davon im Polizei-Ressort, wurde Cornelius inzwischen für alle möglichen Themen eingesetzt und hatte weder ein festes Einsatz- noch ein spezielles Fachgebiet.
Er hatte ruhig und zuverlässig, ohne Klagen, Groll oder großes Trara, seine Pflichten erfüllt. Anders als die meisten Reporter, die permanent etwas zu meckern hatten und denen man ständig die Hand halten musste, war Cornelius ein pflegeleichtes Modell.
Was also sollte die Bitte, den Polizeireporter zu spielen?
»Hey, Tom, kein Problem«, hörte er sich sagen. Cornelius verbarg nicht nur seine wahren Gefühle, sondern behielt auch eine gut gelaunte, fröhliche Miene bei.
»Sie sind ein Heiliger, Corny«, sagte Merriwether und wich seinem Blick aus.
Er war nicht nur von missliebigem Genöle über langjährige Berufserfahrung und Pflichterfüllung, sondern auch von anderen Heulsusen-Mätzchen verschont geblieben.
»Ich bitte Sie wirklich nur ungern darum, aber wie Sie wissen, berichtet Darryl auch morgen aus dem Polizeirevier. Falls er bis dahin noch nicht wieder ganz auf dem Damm ist, könnten Sie vielleicht auch an Ihrem freien Tag herkommen und zusätzlich dieSonntagsschicht übernehmen? Wenn Sie
Weitere Kostenlose Bücher