Der Teufel trägt Prada
Mädchen war eine Heilige. Kaum zu glauben, dass ich sie erst seit einer Woche kannte – und auch nur vom Telefon -, aber ich hätte sie küssen können. Sie war das genaue Gegenteil von Emily: ruhig, realistisch – und ein totaler Modemuffel. Sie kannte Mirandas Macken, machte aber nicht viel Wind darum. Und sie hatte die seltene, kostbare Gabe, über sich selbst und andere zu lachen.
»Nein, das war auch nicht Miranda«, sagte ich mit einem triumphierenden Lächeln zu Emily. Richtig gelogen war es schließlich nicht. »Wir sind aus dem Schneider.«
» Du bist aus dem Schneider, fürs Erste«, sagte sie ausdruckslos. »Denk immer daran: Wir sitzen beide im selben Boot, aber ich gebe den Kurs an. Du hast für mich die Stellung zu halten, wenn ich alle Jubeljahre mal zum Lunch ausgehe – das steht mir zu. So etwas wird nicht noch einmal passieren, verstanden?«
Ich verkniff mir eine fiese Retourkutsche. »Schon gut, schon gut.«
Bis um sieben Uhr waren die letzten Flaschen eingepackt und abgeholt. Emily hatte meine Fahnenflucht nicht wieder erwähnt. Um acht ließ ich mich völlig ausgepowert in ein Taxi sinken (nur dieses eine Mal) , und um zehn lag ich wie ein gestrandeter Wal auf meinem Bett, ohne mir auch nur die Jacke ausgezogen zu haben. Gegessen hatte ich immer noch nichts. Allein der Gedanke, das Haus zu verlassen und – wie an den vier vorangegangenen Abenden – womöglich orientierungslos durch die Nachbarschaft zu tapsen, war mir ein Graus. Mit meinem nagelneuen Bang & Olufsen rief ich Lily an.
»Hi! Ich dachte, du gehst heute Abend mit Alex aus«, sagte sie.
»Wollte ich auch, aber ich bin total erledigt, fix und foxi. Wir haben das Essen auf morgen verschoben. Ich glaube, ich lasse mir einfach was kommen. Eine Pizza oder was. Ist egal. Und wie war dein Tag?«
»In einem Wort? Echt ätzend. Okay, okay, das waren zwei Wörter. Du kannst dir nicht vorstellen, was mir heute passiert ist. Nein, ich glaube, das kannst du doch. So was passiert mir ja dauernd.«
»Komm zu Potte, Lil. Sonst fallen mir gleich die Augen zu.«
»Okay. Heute war der süßeste Boy aller Zeiten in meinem Seminar. Hat die ganze Stunde fasziniert zugehört und hinterher auf mich gewartet. Er hat gefragt, ob ich nicht Lust hätte, mit ihm was trinken zu gehen. Er wollte mit mir über meine Abschlussarbeit reden, die er tatsächlich gelesen hat.«
»Das klingt ja super. Und? Wie viel Prozent kriegt er?« Lily ging zwar nach der Arbeit fast jeden Abend mit einem anderen Typen aus, aber nach ihrem Mr. 100 Prozent suchte sie immer noch vergeblich. Die Liebesprozentskala hatte Lily eines Abends selbst erfunden, nachdem unsere männlichen Bekannten ihre Freundinnen auf einer Rangliste von eins bis zehn beurteilt hatten, je höher der Wert, desto besser. »Sie ist eine sechs, acht, 2-plus«, sagte unser Freund Jake über die PR-Assistentin,
mit der ihn seine Kumpels verkuppelt hatten. Die erste Note galt dem Aussehen, die zweite der Figur und die dritte ihren inneren Werten. Die Prozentskala war Lilys Idee. Sie umfasste zehn Punkte, die jeweils zehn Prozent einbrachten. Der perfekte Mann musste auf jeden Fall die ersten fünf Punkte komplett abdecken: Intelligenz, Sinn für Humor, gute Figur, süßes Aussehen und einen Beruf, der sich wenigstens halbwegs in der Kategorie »normal« ansiedeln ließ. Er konnte weitere Prozente einheimsen, wenn er bei den restlichen fünf Punkten ebenfalls gut abschnitt: keine Psycho-Exfreundin, keine Psycho-Eltern, keinen geilen Frauenaufreißer als Mitbewohner und jede Art von Hobby, das nichts mit Sport oder Pornos zu tun hatte. Das höchste der Gefühle waren bei Lily bis jetzt 90 Prozent gewesen, bei einem Typen, der dann irgendwann mit ihr Schluss gemacht hatte.
»Erst sah es nach starken 70 Prozent aus. Theaterwissenschaftler, Hetero, und er konnte so intelligent über die Politik Israels diskutieren, dass er nicht ein einziges Mal den Vorschlag gemacht hat, ihnen ›einfach’ne Atombombe draufzudonnern‹. Es ließ sich also sehr viel versprechend an.«
»Klingt gut. Ich bin schon so gespannt. Los, raus damit. Woran ist er gescheitert? Hat er dir was von seinem liebsten Nintendo-Spiel vorgeschwärmt?«
»Schlimmer.« Sie seufzte.
»Ist er dünner als du?«
»Schlimmer.« Sie klang hoffnungslos.
»Was um alles in der Welt könnte es denn noch Schlimmeres geben?«
»Er wohnt auf Long Island…«
»Also, ich bitte dich, Lily! Das kannst du ihm doch wirklich nicht übel nehmen. Gut, Long
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