Der Teufel und die Lady
Cullen annehmen, dass sein Schwert ein wenig Übung bekommen würde, was ihm höchst willkommen war. So würde er seinem unbefriedigten, noch immer brodelnden Verlangen Luft machen können. Dann aber sah er, dass der Reiter kein Schwert trug. Ein einfacher Bediensteter also, erkannte er enttäuscht.
»Ihr seid dann wohl der Laird of Donnachaidh?«, fragte der Mann. Seine Stimme bebte vor Wut.
»Aye« ,erwiderte Cullen. Er folgerte, dass seine Männer die Burg erreicht hatten, ehe dieser Knecht hier aufgebrochen war. Wenn sie berichtet hatten, dass sie im Wald auf eine Frau getroffen waren und ihr Laird bei ihr zurückgeblieben war, so mochte dies erklären, warum der Mann sich überhaupt auf die Suche nach seiner Herrin begeben hatte. Das besagte, dass er sie beschützen wollte und zudem kein Feigling war, wenn er bereit war, sich um seiner Herrin willen dem berüchtigten Teufel von Donnachaidh zu stellen.
Während Cullen Evelinde beim Arm nahm und zu ihrer Stute führte, überlegte er, ob er den Mann beruhigen sollte, indem er erklärte, dass nicht er, Cullen, der Urheber ihrer Verletzungen sei. Doch dann entschied er sich dagegen: Er machte sich selten die Mühe, irgendetwas zu erklären. Cullen zog es vor, den Menschen Gelegenheit zu geben, sich eine eigene Meinung zu bilden, was zu seinem furchterregenden Ruf beigetragen hatte. Wenn man den Leuten in dieser Hinsicht freien Lauf ließ, wählten sie meist die schlimmstmögliche Erklärung für Ereignisse. Was ihm, Cullen, allerdings meist zum Vorteil gereichte. Es war recht nützlich, für den grausamen, herzlosen Teufel von Donnachaidh gehalten zu werden. Sein Leumund stellte sicher, dass die meisten Schlachten bereits gewonnen waren, ehe sie noch begannen. Er hatte herausgefunden, dass es keine wirkungsvollere Waffe gab als die Angst, welche die albernen Ammenmärchen über den Teufel von Donnachaidh entfachten.
»Danke«, murmelte Evelinde, als Cullen sie auf ihre Stute hob.
Er schaute auf und sah, dass Evelinde ihn mit einem Blick bedachte, in dem sich Besorgnis mit Verwirrung mischte. Aus irgendeinem Grunde regte dies das Verlangen in ihm, sie erneut zu küssen … und das tat er auch. Ohne Rücksicht auf den sie argwöhnisch beäugenden Bediensteten umfasste Cullen Evelindes Nacken und zog ihren Kopf herab, um sie kurz und leidenschaftlich zu küssen, was ihr ein überraschtes Keuchen entlockte. Dann ließ er sie los, und sie richtete sich im Sattel auf. Offenbar hatte sein Kuss sie keineswegs beruhigt. Im Gegenteil – sie wirkte besorgter und verwirrter als zuvor.
So sind sie, die Frauen, dachte Cullen, während er die Zügel ihres Pferdes ergriff und dieses zu seinem eigenen hinüberführte. Immerzu müssen sie nachdenken und sich quälen, nie gehen sie vernünftig vor, aber genau deshalb hat Gott ja den Mann erschaffen, um diese törichten Geschöpfe vor sich selbst zu schützen.
Er schwang sich in den Sattel, wandte sich um und sah den Knecht abwartend an. Der Mann ließ seinen Blick von Cullen zu seiner Herrin wandern, biss dann die Zähne zusammen und trieb sein Pferd vorwärts, fort von der Lichtung. Cullen folgte ihm, wobei er Evelindes Pferd am Zügel führte.
Jeder anderen Frau hätte Cullen keine weitere Beachtung mehr geschenkt, doch er ertappte sich dabei, wie er während des Ritts immer wieder einen Blick über die Schulter warf. Er konnte nicht anders. Jedes Mal, wenn er sich umwandte, begegnete ihm Evelindes Blick, und jedes Mal war ihre Miene anders: verwirrt, sorgenvoll, gedankenverloren … Als Cullen schließlich ein leichtes Lächeln auf ihrem Gesicht sah, hielt er es nicht länger aus. Er brachte sein Pferd zum Halten, zügelte auch die Stute, die neben ihm galoppierte, und hob Evelinde kurzerhand vor sich auf den Pferderücken.
»Wer ist der Mann?«, fragte Cullen, während er sein Pferd erneut antrieb.
»Mac«, erwiderte Evelinde. »Er ist unser Stallmeister … und ein Freund.«
Nachdenklich betrachtete Cullen das grauhaarige Haupt des Mannes, kam aber rasch zu dem Schluss, dass der Stallmeister keine Bedrohung darstellte. Er war sicher, dass das Mädchen kein amouröses Interesse an dem Stallmeister hegte; wahrscheinlich war dieser eine Vaterfigur für Evelinde. Da es ihr vollkommen an Erfahrung gemangelt hatte, als Cullen sie zum ersten Mal küsste, schien es offenkundig, dass seine Verlobte noch nie zuvor geküsst worden war. Sie hatte jedoch schnell gelernt, dachte er zufrieden und ließ seine Hand, mit der er ihre
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