Der Teufel von Garmisch
Tür
runterbringen musste.
Er setzte sich wieder hinter seinen Schreibtisch, nachdem er das
Fenster auf Kipp gestellt hatte, um den gewöhnungsbedürftigen Duft zu
vertreiben, den Worgall hinterlassen hatte.
Sein Telefon klingelte, und er zog die Brauen hoch, als er die
Nummer erkannte. Es war das Handy von Fabian.
»Hey, Großer«, meldete er sich.
»Hallo, Papa.«
Er klang, als hätte er geweint. »Was gibt’s?«
»Ich wollt nur sagen, ich hab ihr gesagt, was du gesagt hast.«
»Moment … Was hast du wem gesagt?«
»Ich hab der Astrid gesagt, dass sie nur so gemein ist, weil sie
nicht in mich verliebt ist.«
»Oh«, sagte Schafmann.
»Und dass sie eine blöde Ziege ist.«
»Das hab ich aber nicht gesagt. Und dann?«
»Dann hat sie mir eine reingehauen.«
»Ja …« Schafmann schlug sich mit der Hand vor die Stirn und
verdrehte die Augen. »Das mit der Ziege war vielleicht nicht ganz das Richtige.«
»Jetzt hab ich ein blaues Auge und krieg einen Eintrag.«
»Einen Eintrag? Warum?«
»Weil ich nicht gesagt hab, wer’s war.«
Schafmann schloss die Augen. Er fühlte eine warme Welle von Liebe
und Stolz auf seinen Sohn.
»Das hast du richtig gemacht«, sagte er.
»In echt? Findest du?«
»Ja. Das finde ich.«
»Und sagst du das auch der Mama?«
»Ja. Das sag ich auch der Mama.«
»Aber nicht, dass ich verknallt war.«
»Ich versuch’s. Das könnte aber schwierig werden.«
»Ja, das versteh ich … Papa?«
»Ja?«
»Dass sie mir eine reingehauen hat …«
»Du hast sie blöde Ziege genannt.«
»Ja, aber das sag ich doch dauernd zu Mädchen.«
»Das solltest du dir besser langsam abgewöhnen.«
»Ich mein nur: Dass sie mir eine reingehauen hat … kann das nicht
heißen, dass sie doch in mich verliebt ist?«
* * *
Die Stimme hatte nicht angerufen, den ganzen Tag nicht.
Sebastian hatte ständig überprüft, ob er Netz hatte, aber natürlich war der
Empfang auf dem Messegelände gesichert. Der zweite Messetag war fast eine
Erholung gewesen im Vergleich zu gestern. Achtzig Prozent der Kundenfragen
wiederholten sich, und bald musste er aufpassen, bei der Beantwortung nicht ins
Leiern zu geraten. Als ihm das zum ersten Mal passiert war, hatte er sofort
einen strafenden Blick von Selbach aufgefangen.
Er lässt mich nicht aus den Augen, hatte er gedacht.
Selbach war die ganze Zeit in seiner Nähe. Und die Stimme rief nicht
an.
Der Zug rumpelte durch die Nacht in Richtung Garmisch. Sebastian saß
mit geschlossenen Augen auf seinem Sitz. Die Unterhaltungen ringsum waren
eingeschlafen. Im ICE hatte noch aufgekratzte
Stimmung geherrscht. Lerchl hatte mehrere Flaschen Champagner spendiert, die
Carina besorgt hatte. Der Alkohol war Sebastian sofort ins Hirn gestiegen. Die
Anstrengungen der letzten Tage ließen ihm ohnehin kaum die Kraft, sich auf den
Beinen zu halten. Natürlich hatte Selbach neben ihm gesessen, aber selbst er
war wortkarg geworden im Laufe der Zeit.
»Wir waren gut«, hatte er auf Höhe Frankfurt noch gesagt. »Wir waren
wirklich gut.« Dann war er eingeschlafen.
Es war nicht so, dass sich Sebastian freute, heimzukommen. Sein
Bett, darauf freute er sich. Auf das Alleinsein. Die ständige Gegenwart von
Carina hatte seinen Nerven den Rest gegeben. Sie hatte ihm die
Erpressergeschichte nicht abgenommen, das hatte er gemerkt, aber immerhin hatte
sie nicht weitergefragt.
Den Tag über war sie ihm ein bisschen distanziert vorgekommen, aber
vielleicht war das auch nur Einbildung. Als sie die Plastikbecher mit dem
Schampus verteilte, hatte sie ihn wieder angelächelt, als sei nichts gewesen.
Als der Zug in Garmisch hielt, war es fast ein Uhr nachts.
Selbach und Carina teilten sich ein Taxi, und auch Sebastian gönnte
sich eins für den knappen Kilometer nach Hause.
»Morgen Nachmittag«, hatte Selbach zum Abschied noch gesagt.
Morgen Nachmittag würde er mit Selbach in dessen Schießstand
verbringen. Der Gedanke ließ ihn frösteln.
Als er die Haustür aufschloss, fiel sein Blick auf den Briefkasten.
Sein Vater hatte ihn nicht geleert. Natürlich nicht, mit seinem verstauchten
Fuß. Sebastian schloss den Kasten auf.
Ein Umschlag ohne Absender fiel ihm entgegen und ein blauer
Behördenumschlag.
»Polizeiinspektion Garmisch-Partenkirchen«, las er.
Er sah sich um und vergewisserte sich, allein zu sein, bevor er ihn
aufriss.
Eine Vorladung zur Zeugenvernehmung.
Montag, elf Uhr.
Er ließ die Schultern sinken. Sie waren ihm auf der Spur.
Andererseits: Zeugenvernehmung.
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