Der Teufel von Garmisch
Praxis psychologischen
Diagnostizierens«, las Schwemmer auf dem Buchrücken.
»Und du liest jetzt Lyrik?«, fragte Burgl.
»Nur dienstlich.«
»Na Gott sei Dank. Ich hab schon einen Schrecken gekriegt.« Sie
lächelte ihn an. »Federgleich schwebend … Das passt einfach nicht zu dir.«
Er verzog enttäuscht den Mund. »Vielleicht kennst du mich einfach
nicht richtig.«
»Unwahrscheinlich. Wie war’s?«
»Wenig ergiebig. Die Kollegen in Aschaffenburg waren sehr
kooperativ, aber letztlich gab es nichts von Belang, was nicht auch in den
Akten gestanden hätte. Das Haus mit dem Tatort ist abgerissen worden. Der
Ströer hat für beide Tatzeiten wasserdichte Alibis. Und er schreibt
entsetzliche Gedichte.«
»Hast du denn was über Susanne Berghofer herausgefunden?«
»Ich hab ein ganzes Buch über sie. Aber ich fürchte, es erzählt in
erster Linie was über den Dichter.«
* * *
»Kommen Sie«, sagte Selbach. Das Bierglas in der Hand ging er
die Treppe hinauf. Er zog einen Schlüsselbund aus der Hosentasche und schloss
die Tür am Ende der Treppe auf.
Sebastian folgte ihm. Dem ersten Stock war noch anzusehen, dass er
mal als Teil eines Hotels gedacht gewesen war. Ein langer Flur durchzog die
Etage über die komplette Länge. Rechts und links waren in gleichmäßigen
Abständen Türen, die, bis auf eine, alle geschlossen waren. Entlang einer Wand
des Flures standen schmale Tische zwischen den Türen, sonst war der Gang leer.
Eine Stirnwand war hell erleuchtet. An der Decke des Flurs liefen über die
ganze Länge etliche dünne Stahlseile.
»Für die Zielscheiben«, sagte Selbach, der Sebastians Blick
bemerkte. »Willkommen auf dem Joseph-Selbach-Gedächtnis-Schießstand.«
»Joseph Selbach? War das Ihr Vater?«
»Genau. Er hat hier oben schon als Bub mit dem Luftgewehr
geschossen. Die Oma hat es ihm immer verbieten wollen, aber der Großvater
meinte, er hätte Talent.«
»Und? Hatte er?«
»Ich denk schon. Aber er hat eigentlich nie woanders geschossen als
hier. Vereine mochte er nicht. Er war ein Eigenbrötler.«
»Und jetzt schießen Sie hier?«
»Ja. Auch meistens alleine. Ich möchte auch nicht, dass das an die
große Glocke gehängt wird, verstehen Sie. Aus verschiedenen Gründen.«
»Dann ist das eine Ausnahme, dass Sie mich eingeladen haben.«
»Durchaus.« Selbach stieß sein Bierglas an Sebastians. »Kommen Sie,
ich zeig Ihnen was.«
Er ging zu der offenen Tür und schaltete das Licht dahinter an.
Beinahe wäre Sebastians Kiefer nach unten geklappt angesichts der Unzahl von
Waffen, die hier an der Wand hingen.
Gewehre, alte, neue, antike und hochmoderne, standen in Halterungen
an der rechten und der hinteren Wand. Und diese Wände waren breit. Es war kein
kleiner Raum. Falls er mal ein Fenster gehabt hatte, war es nun zugemauert. An
der linken Wand hingen Pistolen, ebenfalls in den verschiedensten
Ausfertigungen. Darunter stand eine Reihe niedriger Stahlschränke, auf denen
eine Arbeitsplatte lag. Neben der Tür hingen drei Armbrüste.
»Sakra«, murmelte Sebastian. »Wie viele sind das?«
»Zweiunddreißig Gewehre, davon vierzehn Schrotflinten,
achtundzwanzig Pistolen und zweiundzwanzig Revolver. Gewehr oder Pistole? Womit
fangen wir an?«
»Ich weiß nicht … Pistole, glaub ich.«
Sebastian ging langsam an den Waffen entlang. Er blieb vor einem
bizarr aussehenden Gewehr stehen, das ein riesiges Zielfernrohr trug.
»Das ist ein belgisches Scharfschützengewehr. Das ist nichts für
hier«, sagte Selbach. »Der Flur hat ja nicht mal dreißig Meter.«
»Wo schießen Sie denn damit? Im Schützenverein?«
»Ach, die haben auch nur eine Hundert-Meter-Schießbahn.«
»Hundert Meter ist doch eine ganze Menge, oder?«
»Für einen Schützenverein schon. Aber mit so einem Ding wird es erst
ab vierhundert richtig interessant.«
»Und wo schießen Sie damit?«
»Es gibt schon einige Schießstände. Aber nicht hier in der Nähe,
jedenfalls keine öffentlichen. Und in der freien Natur ist es verboten.«
»Also schießen Sie gar nicht damit?«
»Es ist verboten«, sagte Selbach.
»Haben Sie das auch geerbt?«, fragte Sebastian. »Das sieht so neu
aus.«
»Ja. Das ist ein hochmodernes Gerät, das hab ich selbst gekauft.«
»Wofür?«
»Ach, das ist mehr so ein langfristiges Projekt. Mein persönliches
Hobby.«
Die linke Wand war bedeckt mit gelochten Platten für die
Metallhaken, auf denen Revolver und Pistolen lagen. Selbach wählte einen
mittelgroßen Revolver aus.
»Fangen wir mal
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