Der Teufel von Garmisch
kalter
Klumpen, der nicht verschwinden wollte.
Es war schlichte, nackte Angst.
Er schreckte zusammen, als es heftig an der Tür klopfte. Auch durch
das Rauschen der Dusche und die geschlossene Tür hindurch war die Stimme seines
Vaters zu verstehen.
»Wirst a noch amoi fertig da drin?«
»Moment …«, sagte Sebastian.
»Wos?«, brüllte sein Vater.
»Wart halt, bis ich rauskomm!«, brüllte Sebastian zurück.
Die Antwort darauf war unverständlich.
Als er im Bademantel, das Handtuch halb über dem Kopf, die Diele
betrat, war nichts zu sehen und zu hören von seinem Vater. Er ging in sein
Zimmer. Der Wecker zeigte Viertel vor acht. Er nahm sein Handy, das er nach dem
letzten Anruf der Stimme neben der Nachttischlampe liegen lassen hatte, und sah
auf das Display. »Entgangene Anrufe: 2. Nummer: Unbekannter Teilnehmer«.
Beide Anrufe waren gegen Viertel nach vier gekommen – zu der Zeit,
als er mit Sannes Citroën unterwegs gewesen war. Es hatte der Stimme wohl den
Spaß verdorben, dass er in Hektik und Panik das Handy zu Hause vergessen hatte.
Vielleicht war das der Grund, weshalb die Stimme der Polizei gesagt
hatte, wo Sannes Citroën war.
Sebastian sah nachdenklich auf das Display. »Keine
Mailboxnachricht«.
Er hatte das Handy so eingestellt, dass die Mailbox erst nach zehn
Rufsignalen ansprang. Damit er so wenig Anrufe wie möglich verpasste. Die
Ruftonlautstärke stand auf maximal, weil er einmal einen Anruf nicht gehört
hatte, als die Waschmaschine schleuderte. Es hätte ja Sanne sein können, hatte
er damals gedacht, obwohl es nur ein Werbeanruf des Netzbetreibers gewesen war.
Er hatte bei Vertragsabschluss das Häkchen nicht weggeklickt, mit dem man
»Individuelle aktuelle Produktinformationen« erlaubte, weil er sich gedacht
hatte, es könne ganz nett sein, auch mal angerufen zu werden.
Das war damals.
Heute bedeutete das: Sein Handy hatte in der Nacht zwanzigmal
geklingelt. Und sein Vater schlief nebenan, in einer leider bis zur
Unerträglichkeit hellhörigen Wohnung.
Es war kein gutes Gefühl, mit dem er die Liste der angenommenen
Anrufe aufrief.
»Unbekannter Teilnehmer«, las er, und »Uhrzeit: 05:01:23«.
Er ließ sich auf sein Bett fallen, das Handy in der Hand. Wenn das
Fenster offen gewesen wäre, hätte er es hinausgeworfen.
Die Stimme hatte mit seinem Vater gesprochen.
* * *
Schwemmer sah den Stapel Zeitungen durch, den Frau Fuchs ihm auf
den Schreibtisch gelegt hatte. Einer der Reporter hatte tatsächlich selbst
recherchiert, nachdem er gestern am Tatort gar nicht erst versucht hatte, mit
Schwemmer zu reden.
Högewald. Schwemmer hätte ihm ohnehin nichts gesagt. Sein Verhältnis
zu dem Mann war schon vor dem Fall mit der Seherin nicht gut gewesen, seitdem
war es irreparabel. Högewald war ein in ganz Oberbayern berüchtigter
Boulevardjournalist. Er arbeitete frei und war der skrupelloseste
Tatsachenverdreher, der Schwemmer je untergekommen war, zumindest seit
Ingolstadt.
Högewald hatte natürlich die Zeugin ausfindig gemacht – wie hieß sie
gleich, dachte Schwemmer, Mitterer? Mittermeier? Mitteregger! Högewald nannte
die Namen der beiden Toten, auch wenn er die Nachnamen immerhin abgekürzt
hatte, er nannte Alter, Beruf – und natürlich hatte er es sich nicht
verkniffen, Andeutungen über den zweifelhaften Ruf des Opfers zu machen.
Schwemmer hätte die Zeitung am liebsten zusammengeknüllt, aber die
Ausgabe gehörte der Dienststelle und war für das Fallarchiv bestimmt. Es war
unfassbar, was sich dieser Schmierfink traute. Susanne Berghofer lag noch auf
von Pollscheidts Obduktionstisch, und dieser Mensch verbreitete schon
schlüpfrige Gerüchte über sie.
Männerbekanntschaften. Da kann der Leser mal sehen, was bei so was
rauskommt.
Weiter unten auf der Seite waren dann die Anzeigen von den Puffs und
Saunaclubs in München, Dachau und Rosenheim. Er hätte kotzen können.
Sehr kontrolliert faltete er die Zeitung zusammen und legte sie
zurück auf den Stapel. Dann griff er nach dem Kaffeebecher und versuchte, seine
Laune irgendwie ins Positive zu drehen, was ihm heute ungewöhnlich schwerfiel.
Er sah auf die Uhr. Auf die Morgenmuffel-Schonfrist, die ihm seine Leute
normalerweise bis halb zehn einräumten, konnte er angesichts zweier Toter nicht
zählen. Und tatsächlich klopfte es zaghaft an der Tür.
»Ja bitte«, sagte er möglichst freundlich, und es klang für seine
Ohren ganz anständig.
Schafmann öffnete vorsichtig die Tür und spähte durch den
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