Der Teufel von Garmisch
sie sie erreichten,
zählte Schafmann pantomimisch bis drei, Schwemmer stieß die Tür auf, und
Schafmann trat mit gehobener Waffe in den Türrahmen.
Im Schlafzimmer stand ein Mann, er wandte ihnen den Rücken zu und
fuhr herum, als Schafmann »Polizei! Hände hoch!« brüllte.
Er sah sie überrascht an und gehorchte mit einer langsamen Bewegung.
»Ich bin nicht bewaffnet«, sagte er.
Schwemmer trat an ihn heran und tastete ihn ab. Er fand tatsächlich
keine Waffe, aber eine Brieftasche und zwei Handys – ein iPhone und ein Siemens
A52. Es war ausgeschaltet.
* * *
Der Dom war groß. So viel war sicher. Für Sebastian war es sogar
das einzig Sichere, seit sie in Köln ausgestiegen waren. Es fühlte sich an, als
würde er von den dichten Menschentrauben mitgerissen, die Treppen hinunter in
die Gänge des Hauptbahnhofs, die kaum leerer waren als der Bahnsteig, vorbei an
den zahllosen Geschäften und Imbissständen, hinaus in Richtung Vorplatz.
Sebastian klammerte sich am Griff seines Rollkoffers fest und
konzentrierte sich darauf, die anderen nicht aus den Augen zu verlieren.
Selbach war ein paar Meter vor ihm, Carina wahrscheinlich hinter ihm, er konnte
sie nicht entdecken. Er hatte einen Kloß im Hals. Menschenmengen machten ihm
Angst, schon immer. In Garmisch war es nicht besonders schwer, ihnen zu
entgehen, wenn man keinen übertriebenen Wert auf Skiwettbewerbe,
Goldmedaillenfeiern oder die Festwochen legte, und das tat Sebastian
keineswegs. Aber hier, in der Großstadt, wurde er einfach aufgesogen, wurde
Teil der Masse – ein Gefühl, das ihn mit geradezu körperlichem Widerwillen
erfüllte.
Er geriet in eine Gruppe junger Männer, die seltsame Filzhüte und
einheitliche T-Shirts mit dem Aufdruck »Wollis letzter Freigang« trugen und die
jetzt, um die Mittagsstunde, offenbar schon ernsthaft betrunken waren.
»Eine Frau, die mich nach Hause trägt …«, grölten sie, und einer
hielt Sebastian mit stierem Blick einen Flachmann vor die Nase. »Willzu?«,
fragte er.
Sebastian schüttelte den Kopf.
»Bist kein Kölner, was?«, fragte sein neuer Freund. »Merkt man. Die
Kölner sind cool drauf. Wir komm’ aus Kaiserslautern.«
»Aha«, sagte Sebastian, und der Mann haute ihm auf die Schulter.
» FCK ! FCK ! FCK !«, brüllte er, und seine Kumpels stimmten mit
ein. »Wollis Junggesellenabschied«, sagte er dann noch. »Das wird geil. Bin
jetzt schon hacke.«
Zu Sebastians Erleichterung bog die Gruppe ab. Er mühte sich, den
Sichtkontakt zu Selbach und den anderen nicht abreißen zu lassen. Das kalte
Nieseln, das sie draußen empfing, war seinem Wohlbefinden weiter abträglich. Er
spürte ein Drücken im Kehlkopf und erinnerte sich, wie er einmal in München in
der U-Bahn in eine Menschenmenge geraten war, die unterwegs zu einem Konzert
ins Olympiastadion gewesen war. Damals, eingequetscht zwischen den riechenden
und feuchten Leuten in der Bahn, waren ihm die Tränen in die Augen getreten.
Heute war es eher Wut, die sich in ihm ausbreitete. Er räusperte sich heftig
und folgte Selbach, der zielsicher auf den Taxistand zusteuerte, an dem die
Wagen im Fünf-Sekunden-Takt an- und wieder abfuhren.
»Sie und Frau Öckler nehmen am besten einen eigenen Wagen. Ihr Hotel
liegt nicht an unserer Strecke«, sagte Selbach zu ihm. »Ich würde sagen, so in
zwei Stunden sollten wir uns alle am Stand treffen.«
»Alles klar«, sagte Sebastian. Carina öffnete den Kofferraum eines
Taxis. Sie hoben ihre Koffer hinein und stiegen in den Fond.
» MS River Symphony«, las Carina von
einem Zettel ab. »Das ist ein Schiff, das liegt an der Frankenwerft.«
Der Kopf des Fahrers fuhr herum. »Frankenwerft?«, blaffte er unter
seinem Schnäuzer hervor. »Dat is doch direkt do unge! Da brauchste doch kejn
Tax för! Da jeht er ma schön ze Foß!«
»Aber …«, sagte Carina und sah Sebastian unsicher an.
Sebastian nahm die Brille ab und massierte sich die Nasenwurzel. Er
atmete ein-, zweimal tief durch. Dann setzte er die Brille wieder auf.
»Hören Sie, mein Herr«, sagte er. »Sie fahren uns jetzt zu diesem
verfickten Schiff, oder ich sorg dafür, dass Sie einen Ärger kriegen, von dem
Sie noch Ihren Enkeln erzählen werden.«
Er traute seinen Ohren nicht, als er sich das sagen hörte, aber die
Worte in Kombination mit dem Blick, mit dem er den Mann ansah, beeindruckten
den Fahrer genauso wie Carina, die ihn mit leicht offenem Mund von der Seite
anschaute. Er tat so, als bemerke er es nicht.
Es waren dann
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