Der Teufel von Herrenhausen
als sie die vertrockneten Geranienblüten
aussortierte. Manche Leute kümmerten sich einfach nicht um die Gräber ihrer
Verwandten. Sie warf einen missbilligenden Blick auf die längst verdorrten
Rosen, die auf dem Nachbargrab vor sich hingammelten. Konnte man die nicht mal
austauschen? Oder war das zu viel verlangt? Aber natürlich, die jungen Leute
hatten heute alles Mögliche zu tun, was sollte man sich da um die Toten
scheren? Dora nahm ihre kleine Harke und befreite das Grab ihres verstorbenen
Mannes Berthold sorgfältig von jedem Blütenblatt. Nicht dass er es verdient
gehabt hätte, in einem ordentlichen Grab zu ruhen, nein, ganz gewiss nicht.
Ihr Berthold war
zeitlebens eine richtige Schlampe gewesen. Immer wieder hatte sie ihm erklären
müssen, dass man nicht mit Schuhen in die Küche ging. Ihr drittes Kind war er
gewesen, die beiden anderen, ihr Sohn Hartwig und ihre Tochter Gudrun, hatten
sich auch nie an diese Regel halten können. Und an die anderen auch nicht. Dora
Hermesmeier seufzte tief. Und das war bis heute so geblieben. Mittlerweile
hatten ihre Kinder selbst erwachsene Kinder, aber kümmerte sich irgendjemand um
das Grab? Nein, natürlich nicht. Das überließ man ihr, Dora. Natürlich, sie war
noch ziemlich rüstig für ihre sechsundachtzig Jahre, und sie war immer ziemlich
gesund gewesen. Unwillkürlich musste sie lächeln. Darum hatte ihr Berthold sie
immer beneidet, um ihre Beweglichkeit. Tja, er hätte eben nicht immer in der
Kneipe sitzen sollen. Biertrinken, Rauchen und Rumsitzen verkürzten nun mal das
Leben.
Sie sammelte die
welken Blüten ein und erhob sich ächzend. Vielleicht sollte sie noch eine Kerze
anzünden, dann sahen die Leute wenigstens, dass sich hier jemand kümmerte. Sie
warf die verblühten Geranien in den Eimer und förderte aus ihrem Baumwollbeutel
ein Grablicht zutage. Sie wollte es gerade in die dafür vorgesehene Laterne
stellen, als sie den Mann wieder vorübergehen sah. Das ist doch unerhört,
dachte sie. Wusste der Mann denn nicht, dass Hunde auf dem Friedhof nicht
erlaubt waren? Sie holte schon Luft, um ihm hinterherzurufen, als ihr gerade noch
rechtzeitig bewusst wurde, dass sie sich auf einem Friedhof befand, wo Schreien
auch nicht gerade zum guten Benehmen gehörte. Außerdem war es noch sehr früh,
gerade mal sechs. Die Stadt war noch ziemlich still. Aber das machte nichts.
Jemand musste dem Herrn mal sagen, dass man hier nicht in Hundekacke
herumwühlen wollte.
Sie ließ ihre
Kerze fallen und machte sich, so schnell ihre dürren Beine sie trugen, an die
Verfolgung, doch als sie in den nächsten Gang einbog, wurde sie abgelenkt. Da
war ein frisches Grab ausgehoben. Nanu, davon wusste sie ja gar nichts. Dabei
kannte sie die Familie, der die Grabstelle gehörte. Oder hatte die jetzt einen
neuen Besitzer? Wahrscheinlich. Um die Pflege hatte sich ja weiß Gott schon die
letzten Jahre kein Mensch mehr gekümmert. War völlig verwildert gewesen.
Neugierig ging sie zum Grab. Vielleicht gab es ja einen neuen Grabstein. Doch
Dora Hermesmeier kam nicht mehr dazu, sich den Grabstein genauer anzusehen. Sie
stieß einen erstickten Schrei aus und taumelte vom Grab weg, was ein Glück war,
sonst wäre sie hineingefallen, direkt auf die Leiche, die drin lag.
Die Melodie des
rosaroten Panthers weckte Charlotte um Viertel vor acht. Anfangs ignorierte sie
es. Was hatte sie mit dem rosaroten Panther zu tun? Aber er ließ nicht locker.
»Wer hat an der Uhr gedreht …?« Bergheims Arm schob sich langsam über ihre
Schulter und wischte über ihr Nachttischchen. Das Handy fiel runter. Es war zu
dieser Morgenstunde unerträglich laut. »Ist es wirklich schon so spät?«
»Aah« war das
Einzige, das Bergheim sagen konnte, nachdem er – quer über Charlotte liegend –
hektisch die passende Taste gesucht und gefunden hatte.
»Wie bitte?«, kam
es dann schon etwas deutlicher. Bergheim setzte sich auf. Er wurde langsam
wach. »Verstanden«, sagte er dann und drückte das Gespräch weg. Dann rüttelte
er Charlotte, die wieder eingeschlafen war, wach. »Komm schon, wir müssen los.«
»Hm?«, fragte
Charlotte, die widerwillig ein Auge öffnete.
»Eine Leiche«,
sagte Bergheim, »auf dem Stadtfriedhof Engesohde.« Dann ging er ins Bad.
Charlotte zog die
Stirn kraus. Hatte Bergheim gerade von einer Leiche auf dem Friedhof
gesprochen? Sie fuhr sich mit der Hand über die Stirn. Sie hätte gestern nicht
so viel trinken sollen. Und vor allem nicht so viel durcheinander. Sie
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