Der Teufel von Mailand
auf Herr Häusermanns Lendenwirbel.
Was hatte der Mann mit dem Milchsammelwagen so früh am Morgen unter ihrem Fenster zu suchen?
Warum war Pavarotti so seltsam gewesen, als sie heute das Tuch von seinem Käfig entfernt hatte? Er saß nicht wie sonst auf seiner Sitzstange und blinzelte irritiert ins Licht des neuen Tages. Er trippelte mit gesträubtem Gefieder auf dem Käfigboden umher, als hätte er etwas im Sand verloren.
Sie zog Häusermanns Unterhose ein Stück herunter und legte ihre öligen Hände links und rechts auf den Ansatz seiner Gesäßmuskeln. Sie spürte, wie aus den Laogung-Punkten in der Mitte ihrer Handflächen die Energie in ihn floß wie ein warmer Strahl helles Licht.
So blieb sie stehen, bis sie nichts mehr sah und roch und hörte und fühlte und schmeckte als diesen unaufhaltsamen Strom aus reinem Qi.
Ein Stöhnen von Herrn Häusermann brachte sie in seine Wirklichkeit zurück. Sie hob das Tuch und bat ihn, sich auf den Rücken zu drehen.
Er zögerte kurz, und als er es dann doch tat, sah sie den Grund. »Verzeihung«, sagte er.
»Kann passieren«, antwortete sie. Mit einem Lächeln, das nicht ihm galt.
Später im Personalraum sagte sie zu Manuel: »Hast du das auch gehört, heute um fünf?«
»Um fünf schlafe ich noch.«
»Die Kirchenglocke hat zwölf geschlagen.«
Manuel musterte sie skeptisch.
»Ich schwör’s. Ich habe am Fenster gestanden und die Schläge gezählt. Seltsam, nicht?«
»So seltsam wie jede Uhr, die spinnt.«
»Wenn nicht die andern Dinge wären. Die Säure im Ficus. Die Leuchtstäbe im Pool.«
»Nur wenn man einen Zusammenhang konstruiert, wird es seltsam.«
»Auch für sich genommen ist jeder dieser Vorfälle merkwürdig.«
Manuel tat es mit einer Handbewegung ab. »Und Bob?«
»Was ist mit ihm?«
»Habt ihr?«
Sonia schüttelte den Kopf.
»Jemand gießt Säure in einen Blumentopf, jemand versenkt Leuchtstäbe in einem Thermalbad, jemand läßt um fünf Uhr früh die Kirchenglocke zwölf schlagen, und jemand geht nicht mit dem Pianisten ins Bett. Es geschehen wirklich seltsame Dinge in Val Grisch.«
baumann will deine nummer
du hast sie nicht
er findet sie raus sagt er
er blufft
meine hat er auch rausgefunden
deine kennt die halbe stadt
und trotzdem ruft keiner an
einsam
alt und einsam und du
um 5 uhr schlug die kirche 12
komm lieber runter
Dr. Stahel lag auf der Seite. Sonia zog mit der linken Hand seine Schulter leicht zurück und arbeitete mit der rechten an seinen Tsubos unter der Schädelbasis. Sie hatte ihn vor der Behandlung gewohnheitsmäßig gefragt, ob er heute irgendwelche besonderen Probleme habe. Er hatte zurückgefragt: »Außer, daß jetzt dann gleich mein Schädel explodiert?«
Sonia begann die Behandlung mit einem Kopf-Shiatsu. Sie legte ihren ausgestreckten Daumen in die Vertiefung zwischen den Nackenmuskeln unter dem Schädel und drückte sanft. Dr. Stahel stöhnte.
»Tut es weh?«
»Nein, gut.«
»Der Teich des Windes.«
»Bitte?«
»So heißt diese Stelle. Liegt auf dem Gallenblasenmeridian. Ein wichtiger Punkt bei allen Arten von Kopfschmerzen.«
»Teich des Windes«, wiederholte Dr. Stahel, mehr zu sich selbst.
Sonia zeigte ihm andere Punkte des Gallenblasenmeridians. »Schulterbrunnen, Feld am Hügel, Quelle am sonnenbeschienenen Grabhügel, und hier« – sie drückte auf den Knochen hinter seinem Ohr – »der vollendete Knochen. Der beste Punkt für Schläfenkopfschmerzen.«
Eine Zeitlang schwiegen sie beide zu den Sphärenklängen der Meditationsmusik. Dann sagte Dr. Stahel: »Sie haben mir doch gesagt, es falle Ihnen schwer, mehr als eine Wirklichkeit zu verkraften.«
»Ja. Sehr schwer.«
»Und die Meridiane? Kein Pathologe ist je auf einen Meridian gestoßen. Und trotzdem gehen Sie mit der größten Selbstverständlichkeit von deren Existenz aus. Oder das Qi? Noch nie hat die westliche Wissenschaft diese Lebensenergie nachgewiesen, man kennt weder ihren Aufbau noch ihre Struktur. Aber beim Shiatsu spüren Sie Verstopfungen des Qi-Flusses auf und beheben diese so routiniert wie ein Installateur einen Rohrschaden. Das nenne ich einen souveränen Umgang mit verschiedenen Wirklichkeiten.«
»Als andere Wirklichkeit habe ich es noch nie betrachtet.«
»Als was denn sonst?«
»Glaubenssache.«
»Ich glaube nicht an Qi und Meridiane. Aber« – er klopfte sich auf den Schädel – »die Kopfschmerzen sind so gut wie weg.«
Sonia lachte. »Dafür gibt es bestimmt auch eine neurologische Erklärung.«
»Bestimmt.
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