Der Teufel Von Muenster
es Ihnen gut geht und Sie bis zur nächsten Sitzung mit allem klarkommen …« Anna machte eine Pause. »Denken Sie nicht, dass ich Sie kontrollieren möchte, Branagorn. Ich will Ihnen nur helfen. Und wenn Sie genauer darüber nachdenken, werden Sie zugeben müssen, dass dies der Wahrheit entspricht. Also melden Sie sich ruhig bei mir, falls Sie mir ein Feedback geben wollen. Machen Sie es gut.« Anna beendete das Gespräch.
»Der Spinner scheint den festen therapeutischen Händen entglitten zu sein«, stellte Haller mit deutlich hörbarem Sarkasmus fest. »Sollte es möglich sein, dass er dich vielleicht einfach nicht mehr braucht?«
Anna seufzte. »Ja, das könnte natürlich sein.«
»Wäre die Loslösung aus dem übermäßig engen Therapeuten-Patienten-Verhältnis nicht eigentlich ein wünschenswerter Zustand?«
»Natürlich«, erwiderte sie. »Aber ich mache mir trotzdem Sorgen um ihn.«
»Vielleicht sollte man sich mehr Sorgen um die Therapeutin machen.«
»Weil ich die Distanz nicht wahre?«
»Zum Beispiel.«
»Entschuldigung, aber das können Sie nicht beurteilen.«
Ein Satz wie ein Fallbeil.
»Sie?«, echote Haller.
»Ich meinte du.«
»Nein, du meinst Sie, denn es ist viel leichter, jemanden mit Sie abzukanzeln als beim Du. Du könntest mich stattdessen auch einfach beschimpfen – denn das ist beim Du leichter.«
Anna seufzte. »Wir sollten uns auf den Mörder konzentrieren, den wir den Barbier nennen.«
»Richtig. Und nicht auf Herrn Schmitt.«
»Herr Schmitt steht ihm aus irgendeinem Grund nahe. Es tut mir leid, aber was er über den Barbier gesagt hat, ist zwar auf den ersten Blick sehr verworren, aber seltsamerweise liegt er doch so nahe an der Wahrheit. Er scheint einfach einen sehr guten Instinkt zu haben.«
»Magie ist ein verbotenes Wort für Leute mit Hochschulstudium. Aber genau das ist doch gemeint.«
»Nein, das ist nicht gemeint«, widersprach Anna. »Für die Fähigkeiten von Frank Schmitt gibt es nachvollziehbare Erklärungen – und wenn er sagt, dass er dem Täter schon mal begegnet ist und ihn an den Augen zu erkennen vermag, dann halte ich das nicht grundsätzlich für ausgeschlossen.«
»Ich möchte nicht sehen, was für Gesichter in der Staatsanwaltschaft gemacht werden, wenn ich mit einem Verdächtigen ankomme, den ich nur deshalb verhaftet habe, weil sich ein offensichtlich psychisch kranker Mensch einbildet, anhand der Augen erkennen zu können, wer der Täter ist.«
»Er ist nicht in dem Sinne krank«, widersprach Anna. »Schon der Begriff Patient ist eigentlich irreführend, denn das setzt eigentlich voraus, dass jemand leidet. Aber Branagorn leidet nicht. Er ist einfach nur anders, und alles, was ihm an Schwierigkeiten widerfährt, hat in erster Linie mit seiner Andersartigkeit zu tun.«
»Nicht eher damit, dass er die Realität nicht zur Kenntnis nehmen kann?«
»Von was für einer Realität sprechen wir? In unserer Welt nehmen wir Dinge wahr und vergessen den größten Teil gleich wieder. Das müssen wir, um das Wesentliche behalten zu können. Und das, was wesentlich ist, kann sehr verschieden sein. Darum gibt es so viele unzuverlässige Zeugenaussagen, bei denen sich Menschen einbilden, einen bestimmten Menschen zu einer bestimmten Zeit an einem bestimmten Ort gesehen zu haben, obwohl das eigentlich gar nicht sein kann – ein Phänomen, das einem Kripo-Beamten doch geläufig sein sollte.«
»Sicher.«
»Aber bei Frank Schmitt und anderen Savants funktionieren diese Filter des Bewusstseins nicht wie bei uns. Sie registrieren unter Umständen jedes Detail und behalten es ewig.«
»Klingt nach einem überlasteten und absturzgefährdeten Hirncomputer.«
»Ja, die Gefahr besteht tatsächlich. Aber man sollte niemals vergessen, dass das, was jemand wie Frank Schmitt registriert hat, immer abrufbar bleibt – und zwar mit einer Präzision, von der unsereins nicht einmal zu träumen wagt.«
»Wenn das ein Versuch gewesen sein sollte, diesen Verrückten wieder in irgendeiner Form in unsere Ermittlungen zu integrieren, dann kann ich nur noch mal mein Veto dagegen wiederholen, Anna. Oder aus welchem Grund kommst du immer wieder auf diesen komischen Krieger zurück?«
»Ich dachte eigentlich, dass das nur eine ungezwungene Plauderei war.«
»Ungezwungene Plauderei«, echote Haller und lachte kurz auf. »Wenn du das sagst, klingt das irgendwie so ähnlich wie Nachrichtensprecher im öffentlich-rechtlichen Fernsehen, die sich gegenseitig duzen, um eine
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