Der Teufel Von Muenster
habe den Tod der Heilschwester nicht verhindern können.«
»Warum nennen Sie Nadine Schmalstieg eine Heilschwester?«
»Weil das ihre Profession ist. Sie arbeitet am Marienhospital. Ich lernte sie kennen, als sie noch eine Schülerin war und ich für eine gewisse Zeit bei den Türmen zu Lengerich weilte … Zur selben Zeit begegnete ich in Lengerich auch dem Traumhenker, wie ich Euch schon einmal berichtet habe.«
»Ja, das habe ich nicht vergessen.«
»Ich habe Nadine Schmalstieg darüber befragt, denn sie hatte ja schließlich damals Dienst und hätte dieser Mörderseele ebenfalls begegnen müssen. Da bin ich mir ganz sicher.«
»Sie haben mit ihr noch gesprochen?«, wunderte sich Anna.
»Ja, am Tag zuvor an einem Ort, der sich Café Mauritius nennt. Ich erwähnte das kurz während unseres Gesprächs über das sprechende Artefakt. Aber ich sehe schon, dass ich Euch alles von Anfang an und im richtigen Zusammenhang berichten muss, sonst werdet Ihr es nicht verstehen …«
»Das fürchte ich auch«, nickte Anna.
Branagorn griff an seinen Gürtel und löste einen Beutel, in den er das Haar aus dem Flur des Hauses in der Nordwalder Straße getan hatte. Mit dem Daumen und Zeigefinger seiner rechten Hand griff er dabei mit einer Sicherheit zu, die wohl für ein gut ausgebildetes, scharfes Auge sprach, ein Elbenauge eben, wie Branagorn immer wieder betonte. Er hielt Anna das Haar hin. »Ich hoffe, Ihr habt dafür Verwendung in den Laboratorien Eurer Alchemisten.«
»Sicher. Nur habe ich im Moment nichts, worin ich es aufbewahren könnte.«
»Ich hole ein Tütchen«, sagte der Beamte, der bis dahin mit im Raum gesessen hatte. »Einen Moment.«
»Vielen Dank«, sagte Anna.
»Das ist übrigens der werte Ralf Meyer zu Gentrup, der unter den Hütern der Ordnung den Rang eines Polizeikommissars bekleidet, wenn ich mich recht erinnere. Er war der Erste von ihnen, der hier eintraf, nachdem ich mit dem sprechenden Artefakt Hilfe gerufen hatte.« Branagorn schüttelte verzweifelt den Kopf. »Ich konnte den Traumhenker nicht aufhalten, obwohl es mir nicht an Mut mangelte … Das wird sich in Zukunft als schwere Bürde für mich erweisen.«
»Es gibt Ihnen niemand die Schuld am Tod von Nadine Schmalstieg.«
»Sagt das nicht, meine werte Ratgeberin und Gefährtin«, widersprach Branagorn. »Wenn sich im Wohnzimmer nicht ein blutiger Fußabdruck gefunden hätte, der weder vom unglückseligen Opfer dieser Gewalttat noch von mir stammen kann, dann wäre der nette Herr Meyer zu Gentrup sehr schnell zu meinem eindringlichsten Ankläger geworden – ganz zu schweigen von jenem Hüter der Ordnung, der den Namen Haller trägt und mit dem Ihr in besonders enger Weise zusammenzuarbeiten scheint. Es war so schrecklich, in der Gewissheit das Haus zu betreten, einem furchtbaren Bild des Grauens zu begegnen. Wie sie dasaß, die Kehle geöffnet und das Haar auf eine so grobe Weise entfernt, dass dies nur einem unendlich großen Hass entsprungen sein kann. Einem Hass, wie er in dieser furchtbaren Intensität für mich nicht nachvollziehbar ist. Doch das liegt vielleicht an der Natur des Elbenvolkes …«
»Jeder Mensch ist unter den geeigneten Umständen dazu fähig, die schlimmsten Instinkte in ihm an die Oberfläche kommen zu lassen«, erwiderte Anna. »Niemand von uns weiß, wo bei ihm persönlich die Grenze liegt, an der die dünne Tünche der Zivilisation und der Kultur von ihm abfallen und etwas zum Vorschein kommt, was dann für gewisse Zeit jegliche Kontrolle außer Kraft setzt.«
»Euer Lehrmeister Freud nimmt doch ohnehin an, dass das Unbewusste die meisten Entscheidungen trifft und dabei viel weniger von den ordnenden Instanzen des Ich und des Über-Ich beeinflusst wird, als die meisten Menschen glauben oder – wie in Eurem Fall – hoffen.«
»Sie kennen Freud?«, wunderte sich Anna, fand es dann aber im nächsten Moment gar nicht mehr verwunderlich. »Na ja, Sie lesen ja viel …«
»Ich muss gestehen, dass ich nie etwas von ihm gelesen habe. Aber irgendwann in den 1890er Jahren hatte ich die Gelegenheit, in Wien persönlich einem Streitgespräch zwischen Freud und dem Okkultisten Hermann von Schlichten über die Macht des Unbewussten zu folgen. Für mich war das sehr aufschlussreich, wie ich gestehen muss.«
»Ah ja«, murmelte Anna.
Branagorn nahm mit der Rechten Annas Hand, während Daumen und Zeigefinger der Linken nach wie vor das Haar festhielten. Ihr erster Impuls war, sie ihm zu entziehen, doch dann
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