Der Teufel von New York
hingegen gab es massive Bücherregale, noch besser bestückt als die Bibliothek der Underhills, und ich begriff sogleich, aus welchen guten Gründen der hochgebildete Doktor und der ebenso hochgebildete Reverend so eng zusammenarbeiteten, um der armen protestantischen Bevölkerung zu helfen. Aber das hier war keine Literatur, und es waren auch keine frommen Traktate. Sondern medizinische Werke, riesige, schlichte Bände in einem Gewand aus rissigem Leder, Chemiebücher mit Goldschnitt, Dutzende fremdsprachiger Werke mit seltsamen goldgeprägten Symbolen auf den Buchrücken. Alchemie-Schriften. Ja, das mussten sie sein, denn ich erinnerte mich, was Mercy mir von dem anderen Projekt erzählt hatte, das Peter Palsgrave noch verfolgte, neben dem Heilen von Kindern.
»Wie weit sind Sie mit dem Elixier des Lebens gediehen?«, fragte ich ihn in freundlichem Ton.
Er fuhr herum wie ein Kreisel, mit seinen hübschen kleinen Stiefeln, seinen dünn bestrumpften Beinen und seiner aufgeblähten Brust unter der prächtigen blauen Weste. Birds Lächeln wurde noch breiter.
»Woher wissen Sie ... oh, aber natürlich ...«, seufzte er. »Ich habe Sie zu Mercy Underhill geschickt. Sie muss mein Magnum opus erwähnt haben. Es geht nicht wirklich um das Elixier des Lebens, sondern um einen Heiltrank. Ein recht komplexes Experiment, das ich einem Laien unmöglich erklären könnte.«
»Versuchen Sie’s doch einfach«, antwortete ich ein bisschen gekränkt.
Peter Palsgrave wirkte ziemlich unwillig, begann aber dann zu sprechen. Und er war von seinem Studienobjekt so hingerissen, dass selbst Bird von der Welle seiner Begeisterung erfasst wurde und ihm gespannt zuhörte, wobei sie eine rötliche Haarsträhne um den Finger drehte.
Die Alchemie, so sagte er mir, ist eine Wissenschaft, in der man erforscht, wie Prozesse in Gang gesetzt werden können, die ein Element in ein anderes verwandeln. Und nachdem die Alchemisten lange und unter großen Anstrengungen nach einer Weisheit gestrebt hatten, die ihnen Unmögliches ermöglichen sollte, waren sie ans Ziel gelangt. Sie hatten Flüssigkeiten destilliert, die so rein waren, dass sie nur noch aus einem Stoff bestanden und nicht mehr aus vielen – Alkohol zum Beispiel. Sie hatten Glas hergestellt, das so durchsichtig war, dass man es gar nicht mehr sehen konnte. Aber diese Reinigung und Verfeinerung, belehrte er uns, war nur ein Mittel zum Zweck. Ein paar schurkische Alchemisten wollten damit so perverse Dinge erreichen, wie Blei in Gold zu verwandeln, was jede gesunde Wirtschaft zerstören würde, fügte er mit matter Stimme hinzu.
Das Elixier des Lebens, lange Zeit der Heilige Gral der Alchemie, war ein Ziel, das unmöglich zu erreichen war, sagte er mit einem Leuchten in den Augen, das auch dadurch nicht gedämpft wurde, dass seine Zuhörer so unwürdig waren. Dem Menschen war es schon bei seiner Erschaffung bestimmt, eines Tages wiederzu Staub zu werden. Doch ein Heilmittel, mit dem man alle Krankheiten heilen könnte, das sei ein erreichbares Ziel. Kinder, so erläuterte er uns voller Leidenschaft, waren so zerbrechlich. So anfällig für Ansteckung. Wenn man doch nur das perfekte Heilmittel entdecken könnte, indem man die jüngsten Erkenntnisse der Medizin, die ältesten Wahrheiten der Alchemie und die besten Techniken der Chemie anwandte – das wäre eine Errungenschaft, die man nicht um des Ruhmes oder des Reichtums willen anstreben sollte, sondern um der Menschheit willen, sagte uns der seltsame kleine Mann, wie er so adrett und vor Begeisterung leuchtend vor uns stand, mit seinen goldblitzenden Augen und seinem ins Korsett gezwängten Leib. Kinder und geschwächte Menschen wären nicht länger hilflos den bösen Launen des Pesthauchs ausgesetzt. Wie das genau aussehen könnte, wisse er nicht, doch er verfolge schon lange gewisse Fährten. Feine, aber deutlich wahrnehmbare Hinweise.
Wir waren wie hypnotisiert.
Dr. Palsgrave sprühte förmlich goldene Funken, die Worte ratterten holterdiepolter wie über stählerne Geleise, während er heftig die Bremse zog, damit es ihn nicht aus der Kurve warf. Was für ein Ziel! Sicherlich, es war absolut verrückt und auch völlig romantisch und allem Anschein nach unmöglich. Aber was für ein Ziel! Einem schwerkranken Kind die Gesundheit zurückzugeben, so dass es eines fernen Tages an Altersschwäche sterben konnte. Entgegen aller Wahrscheinlichkeit gefiel mir der Gedanke. Auch wenn ich keine Hoffnung darein setzte, dass man es je
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