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Der Teufel von New York

Der Teufel von New York

Titel: Der Teufel von New York Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lyndsay Faye
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hätte die Kutsche in der Nacht beleuchtet sein müssen. Ich erkannte im Dunkeln die Laternen, die kalt und erloschen in den vier Ecken hingen, was sehr bezeichnend war.
    »Wer da?«, rief der Kutscher.
    »Polizei.« Ich zeigte ihm mein Abzeichen auf dem Revers. »Ich muss mit den Fahrgästen sprechen.«
    Ich ließ ihm keine Zeit zum Antworten. Ich schnalzte mit der Zunge, und der Wallach trabte zur einen Seite des Fahrzeugs. Ob das Pferd mir gehorchte, weil es von Natur aus sanftmütig war oder weil es mich seinem eigentlichen Besitzer vorzog, werde ich nie erfahren. Ich beugte mich vor und riss die Tür auf.
    Moses Dainty saß auf der linken Seite, mit vor Ärger zuckendem Schnurrbart. Scales saß auf der rechten und atmete durch den Mund, denn das machte er immer, wenn seine Pläne schiefgingen. Neben Scales saß, stocksteif, zornig, den Tränen nah und vollkommen wohlauf: Bird Daly. Als sie mich sah, machte sie ein finsteres Gesicht, doch gleich darauf hellte es sich wieder auf.
    Bird riecht es förmlich, wenn jemand lügt – und auch, wer lügt.
    »Gebt sie heraus«, forderte ich barsch. »Was immer euch gesagt wurde, Madam Marsh will sie zurück.«
    Die beiden Halunken starrten mich böse an, dann tauschten sie einen Blick. Empörung trat auf das Gesicht des kleinen Mädchens, dann blickte sie drein wie ein Schiff bruchsopfer. Der leere Blick eines halb ertrunkenen Menschen, der sich an eine Planke klammert und, richtungslos dahintreibend, darauf wartet, dass etwas passiert.
    »Glaub bloß nicht, du könntest ein Parteimitglied zum Narren halten, Tim«, sagte Moses, »vor allem, da ...«
    »Was auch immer mein Bruder euch gesagt hat, er ist raus aus dem Spiel. Madam Marsh höchstpersönlich hat mich hergeschickt. Ihr wollt doch wohl nicht, dass sie sich mit der Partei überwirft, nur weil ihr einen Riesenschnitzer gemacht habt, zumal ich mich extra auf den Weg gemacht habe, um euch zu warnen? Los jetzt. Gebt mir das Mädchen, und reden wir nicht mehr davon.«
    »Madam Marsh? Aber warte mal«, sagte Scales trottelig, »hat sie denn ...«
    »Ja. Höchstpersönlich. Vor einer Stunde. Ich bin hierhergaloppiert, das seht ihr doch. Na gut. Wenn ihr wollt, dass Silkie Marsh glaubt, ihr hättet euch mit ihrem Besitz aus dem Staub gemacht, dann verlasse ich euch jetzt. Ich möchte nicht wissen, was sie mit euch macht. Wahrscheinlich wird die Partei die Beerdigung bezahlen.«
    »Ich denke nicht, dass wir ...«, stotterte Moses.
    »Gebt sie mir«, unterbrach ich ihn, »sonst lasse ich meinen Bruder aus der Polizei werfen. Ich muss schließlich meinen eigenen Kopf aus der Schlinge ziehen, falls ihr mit diesem Unfug weitermacht. Habt ihr nicht gesehen, wie ich die Kleine beim Parteitreffen bewacht habe?«
    Es war genau die richtige Wortwahl. Scales, der die längeren Arme hatte, stellte sich halb auf den Wagentritt, hob Bird bei den Achseln hoch und setzte sie quer vor mich auf den Sattel, so dass ihr Kleid mich beim Reiten nicht behinderte.
    Ich hielt mich nicht lange mit Danksagungen auf, sondern legte einen Arm um sie und stürmte im Dunkel der Nacht aufdem gestohlenen Pferd zurück in die Stadt. Als wir schon südlich des Union Park waren und die verdutzten Söldlinge ganz offensichtlich hinter uns gelassen hatten, stupste ich sie ein wenig an und verlangsamte die Gangart.
    »Alles in Ordnung mit dir?«
    »Wo reiten wir hin?«, fragte sie mit leisem Stimmchen.
    »Nach Hause. Zu Mrs. Boehm. Dann suchen wir ein besseres Versteck.«
    Bird kuschelte sich ein wenig an mich, bevor wir wieder davonflogen und der Wind an ihren Worten zerrte.
    »Ich hab nie wirklich geglaubt, dass Sie mich fortgeschickt haben, Mr. Wilde«, log sie. »Das habe ich nie geglaubt.«
    Ich hatte Bird schon viele Lügen zu ihrem Vorteil erzählen hören. Aus Vorsicht, zur Verteidigung, zur Irreführung, um Mitgefühl zu erregen. Diese Lügen waren leicht zu schlucken, denn Bird Daly brauchte Lügen, wie manche Wesen einen Panzer brauchen. Ich lehnte mich dabei zurück und sah zu, wie die Lügen wie die Perlen einer gerissenen Kette herauskullerten. Man hatte gar keine andere Wahl. Aber diese letzte Lüge würde ich ihr nicht durchgehen lassen. Wie schon gesagt, ich bin ja erwachsen.
    »Bird, bitte lüg nicht um meinetwillen«, sagte ich und trieb das Pferd weiter an. »Nie wieder.«
    »Ist gut«, wisperte sie, nachdem sie eine Weile darüber nachgedacht hatte. »Dann bin ich froh, dass Sie es nicht waren.«
    *
    Das Licht in den Fenstern der Bäckerei

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