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Der Teufel von New York

Der Teufel von New York

Titel: Der Teufel von New York Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lyndsay Faye
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rieb ihm die Mähne, spürte unter mir, wie unwohl es sich fühlte, und war dankbar, dass es nicht schon längst entschieden hatte, dass ich zu viel Ärger bedeutete und es mich nicht länger tragen wollte. Aus der Dunkelheit kam das Zirpen der Grillen, und die verstohlenen Flüsterflügel von Glühwürmchen summten mir in den Ohren. Die Mauer, in deren Schatten ich Schutz gesucht hatte, war zwei Fuß dick. Eine Steinfestung, hoch genug, um die Fluchtpläne der meisten Insassen zu vereiteln.
    Aber nicht die von Valentine. Ganz und gar nicht.
    Es war eine Ironie des Schicksals gewesen, dass, als man ihn dort gefangen gehalten hatte, meine Eltern sich noch voll und ganz ihres Lebens erfreuten. Die Institution war ins Leben gerufen worden, um junge Tagediebe von der Straße fernzuhalten und sie mit einer gehörigen Portion »moralischer und körperlicher Zucht« zu bessern. Stark befürwortet von den Stadtältesten und allen Eltern, deren Kinder nicht dazu neigten, in den Läden Schnaps zu klauen und dann im Battery-Viertel zu versaufen.
    Henry und Sarah Wilde gehörten nicht dazu.
    Meine Eltern brauchten vier Tage, um herauszufinden, wohin man meinen Bruder verschleppt hatte. Acht weitere, um eine Anhörung bei einem Richter zu bekommen. Ich war ein kleiner Sechsjähriger und erinnere mich noch, wie still es plötzlich im Haus war. Im Alter von zwölf war mein Bruder ein leidenschaftlicher Schulschwänzer, aber kein regelmäßiger. Wann immer er verschwand, vertraute ich darauf, dass er wieder zurückkommen würde. Dass er zurückkam, war die natürliche Ordnung der Dinge. Aber diesmal war alles anders: Meine Mutter konnte keine gerade Naht mehr nähen, mein bulliger Vater bekam sein Abendessennicht herunter. Als sie schließlich mit einem Richter sprachen, erklärte dieser, Val sei beim Einwerfen von Fenstern erwischt worden. Er verlangte eine Geburtsurkunde zu sehen. Und schickte sie wieder weg.
    Zwei Tage später kam Val nach Hause, als meine Eltern fast schon verrückt geworden waren und seit vierzig Stunden ununterbrochen miteinander geflüstert hatten. Sein lohfarbenes Haar war brutal kahlgeschoren worden, und er trug eine abgewetzte Uniform. Mit einem frechen Grinsen bat er um ein Stück Fleisch und ein Glas Ale. Mein Vater stand ihm am nächsten, daher war er der Erste, der ihn in den Arm nahm, und daher fiel ihm als Erstem auf, dass Vals Hemd an den blutigen Striemen klebte, die über seinen Rücken liefen.
    Ob Vals Geschichten über die Messingnägel, die sie herstellen mussten, oder über die höllischen Glocken, die sie in der seelenlosen Stille von einem Ort zum anderen riefen, oder über die Tortur der erzwungenen Waschungen oder das verdorbene Essen grob übertrieben waren oder nicht, ist mir immer egal gewesen. Das Hemd meines Bruders habe ich mit eigenen Augen gesehen. Henry Wilde war kein zartbesaiteter Mensch, aber als meine Mutter den Stoff mit Wasser tränkte, um ihn von Vals Haut abzulösen, hörte ich ihn deutlich mit den Fäusten gegen die Scheunenwand hämmern. Ich war zwar erst sechs, hatte aber ein ähnliches Bedürfnis, das ich nicht in Worte fassen konnte, und so demolierte ich mit Fußtritten eine Sperrholzkiste.
    Bei dem Gedanken, Valentine könnte Bird an genau diesen Ort geschickt haben, fühlte ich halb Entsetzen, halb ehrfürchtige Scheu. Es war, als befände ich mich in einem Alptraum. Ich hatte einmal etwas Ähnliches empfunden, als ich von einem Monster träumte, das an den Fingerkuppen Zähne und im Maul lauter Fingernägel hatte.
    Hufgetrappel näherte sich.
    Und zwar ziemlich schnell. Zwar so, dass es kein Aufsehen erregte, aber ohne einen Augenblick zu verlieren.
    Ich spürte den Lufthauch im Rücken, er lief wie ein Schauderdie Gefängnismauer entlang, das leise Schnauben meines gestohlenen Pferdes bildete das Echo dazu. Ich stand im Schutz des Schattens der hohen Mauer, wahrscheinlich konnte mich nur der Kutscher sehen. Ich selbst konnte jedoch das sich unter Hufgeklapper nähernde Gefährt sehr genau erkennen. Es handelte sich um eine vierrädrige Kutsche mit einem Gespann von zwei Pferden, Vorhängen vor den Fenstern und, wie ich aus dem Augenwinkel sah, einer Art Wappen, das auf die Tür gemalt war.
    Ich rammte dem Pferd meine Hacken in die Flanken und preschte auf die Straße hinaus.
    »Halt!«, schrie ich und ruderte mit den Armen.
    Die schwarzen Pferde gehorchten mir auf der Stelle, noch ehe der Kutscher reagieren konnte, denn ich stand ihnen direkt im Weg. Eigentlich

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