Der Teufel von New York
sich in denen von Mrs. Boehm verhedderten, denn das Mädchen fiel in eine tiefe Ohnmacht.
5
Werden Kartoffeln von dieser Krankheit befallen, ist zunächst ein Austrocknen oder Runzligwerden der Schale zu beobachten ... Wir haben in letzter Zeit von unseren Lesern Klagen über ihre Kartoffeln erhalten, und in einigen Fällen besteht für uns wenig Zweifel, dass es sich tatsächlich um die soeben beschriebene Krankheit handelt.
Gardener’s Chronicle and Agricultural Gazette,
16. März 1844, London.
Mrs. Boehm machte sich nun beherzt an die Aufgabe, das ganze Blut von dem armen Mädchen abzuwaschen, während ich Arme und Beine festhielt. Dann suchte Mrs. Boehm eine alte, weiche Bluse heraus, zog sie dem Mädchen über, knöpfte die Perlmuttknöpfe zu, zog sämtliche Nadeln aus dem rotbraunen Haar und legte das Kind auf eine niedrige Pritsche, die sie unter ihrem eigenen Bett hervorgezogen hatte. Sie ging höchst methodisch vor in dem ganzen Durcheinander, wofür ich ihr sehr dankbar war.
Sie trat aus ihrem Schlafzimmer im ersten Stock und schloss die Tür hinter sich, als ich gerade aus der Bäckerei nach oben steigen wollte, einen Teller mit Brotscheiben vom Vortag, zwei Scheiben gesalzenem Schinken und etwas Käse, den ich in einem kleinen Topf mit Salzlake gefunden hatte, in der Hand.
»Ich werde es bezahlen, auf den Cent genau. Ich dachte, Sie würden mir vielleicht Gesellschaft leisten«, sagte ich und versuchte zuvorkommend zu klingen. Aber ich glaube, es hörte sich an, als sei ich krank.
Mrs. Boehm machte ein glucksendes Geräusch. »Warten Sie«,befahl sie und ging zurück in ihr Schlafzimmer. Als sie wieder herauskam, hielt sie ein Stück Wachspapier in der Hand, wie man es zum Einwickeln von Schokolade verwendet.
Wir stellten die Teller und zwei Talgkerzen auf den Tisch und drehten die Lampen herunter, um Öl zu sparen. Mrs. Boehm verschwand noch einmal und kehrte mit einem Steinkrug voll Bier zurück, das sie in zwei Becher aus dem Geschirrschrank einschenkte. Ich bemerkte, dass sie mir einen selbst für ihre Verhältnisse recht intensiven Blick zuwarf, und nach einem Augenblick setzte ich den Hut ab. Das war, als hätte ich mir die Unterwäsche ausgezogen. Irgendwie obszön.
»Der Brand in der Stadt?«, fragte sie sanft. »Oder ein Unfall?«
»Der Brand in der Stadt. Ist nicht so schlimm.«
Sie nickte, und ihre Mundwinkel zuckten. »Sagen Sie ... das Mädchen war draußen, auf der Straße, und Sie beschlossen, sie hereinzuholen?«
»Haben Sie etwas dagegen?«, fragte ich überrascht.
»Nein, aber Sie sind Polizist.«
Was das bedeutete, war klar. Wozu waren Polizisten da, wenn nicht dazu, blutüberströmte Kinder aufs Polizeirevier zu bringen und herauszufinden, was ihnen widerfahren war? Ich nickte. Ich fühlte mich ganz absonderlich, seit ich den Hut abgenommen hatte. Ich hatte gar nicht bemerkt, dass ich mich so sehr unter ihm versteckt hatte. Wie auch immer, ich konnte wohl kaum meiner Wirtin gestehen, dass ich gerade beschlossen hatte, meine einzige feste Einkommensquelle aufzugeben.
»Wenn das arme Kindchen aufwacht, werden wir herausfinden, was passiert ist – wo sie wohnt und woher das Blut kommt. Es hat gar keinen Zweck, sie unter Polizeiaufsicht zu stellen, solange sie schläft.«
Da ich einen Bärenhunger hatte, langte ich nach einer dicken Scheibe Roggenbrot und nahm ein Stück von dem quarkartigen Käse dazu. Mrs. Boehm zog eine Zigarette aus der Tasche ihres Kleides und zündete sie an einer der Kerzen an. Das stumpfe Weizenblond ihrer Haare wurde kurz von einem zarten Schimmerüberhaucht, dann stand die Kerze wieder auf dem Tisch. Ich sah eine Zeitschrift offen daliegen, in der Mrs. Boehm anscheinend gerade eine Kurzgeschichte gelesen hatte – eine Folge der überaus populären Reihe Licht und Schatten in den Straßen von New York – , und musste lächeln. Die Reihe ist recht gut geschrieben, aber ebenso reißerisch wie lyrisch, und der Autor ergeht sich in anstößigen Anspielungen, wann immer es möglich ist, was wahrscheinlich der Grund dafür ist, dass es mit »Anonymus« gezeichnet ist. Je mehr ich über meine Vermieterin erfuhr, desto besser mochte ich sie leiden. Indes, als sie merkte, dass ich las, was sie las, liefen ihre Wangen rot an, und sie klappte die Zeitschrift zu.
»Solche Kinder bedeuten Ärger«, bemerkte sie in bedauerndem Tonfall.
»Irische Kinder?« Es überraschte mich nicht, dass sie so dachte. Auch wenn das Mädchen Amerikanisch sprach –
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