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Der Teufel von New York

Der Teufel von New York

Titel: Der Teufel von New York Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lyndsay Faye
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unter ihrem Morgenmantel abzeichneten. »Sie müssen sich also nicht die Mühe machen, mich zu wecken.«
    »Gut. Ich bin froh, dass Sie bei der Polizei sind. Wir brauchen eine Polizei«, sagte sie nachdenklich und griff nach ihrer Zeitschrift. Und dann nach einer Pause: »Bestimmt war es nur ihr Pony.«
    Mrs. Boehm war eine praktische Frau, sagte ich mir. Außerdem hatte sie recht: Das Blut konnte von allem Möglichen stammen.Von einem Pony oder von einem Hund, den eine Kutsche überfahren hatte und um den gleich darauf die Ratten herumwuselten. Für einen kurzen Moment fiel die Anspannung von mir ab.
    Aber beim Gedanken an Ratten fühlte ich mich wieder elend und erschüttert und starrte sinnlos quer durchs Zimmer auf einen Riss im Verputz. Als ich schließlich die andere Kerze hinauf in mein Zimmer trug, fragte ich mich, wie lange es wohl nach einem Tag wie diesem dauern würde, bis ich mich wieder als normaler Mensch fühlte.
    *
    Am nächsten Morgen erwachte ich aus tiefem Schlaf und sah in zwei graue Augen, die mich eingehend musterten.
    Ich starrte zurück, ohne recht zu verstehen. Da lag ich noch flach im Bett und war schon aus dem Gleichgewicht gebracht. Sonnenlicht flutete durchs Fenster, und das war noch nie Stand der Dinge gewesen, wenn ich hier die Augen aufschlug. Meine Strohmatratze war immer noch an die Wand des größeren Raums geschoben, denn die Vorstellung, mir in der Schlafkammer ein Bett zu bereiten, deprimierte mich in einem Maße, für das es keine rechten Worte gab. Noch am Tag zuvor wäre ich ziemlich schockiert gewesen bei dem Gedanken, hier Gesellschaft zu haben. Und da lag ich nun, mit nichts als meinen weiten Unterhosen mit Kordelzug bekleidet, die ein gutes Stück über den Knien endeten, während zwei riesige aschefarbene Augen mich anstarrten.
    Das kleine Mädchen trug die lange Bluse, die Mrs. Boehm ihr in der Nacht zuvor gegeben hatte. Sie reichte ihr bis zur Hälfte der Oberschenkel, und darunter trug sie eine Nankinghose für Jungen. Interessant, dachte ich. Ihr rosenholzfarbenes Haar war jetzt im Nacken mit einem Stück Küchengarn zusammengebunden.
    »Was machst du hier?«, fragte ich.
    »Ich habe mir Ihre Bilder angesehen. Sie gefallen mir.«
    Es gab hier keine Bilder, aber ich wusste schon, was sie meinte. Seit ich ein kleiner Junge war, habe ich die Angewohnheit, auf jedes Fitzelchen Papier, dessen ich nur habhaft werden kann, etwas zu kritzeln, wenn ich meinen Kopf beruhigen will. Und bevor ich bei der Polizei anfing, hatte ich jeden Tag etwas gezeichnet. Wenn ich nach draußen in die Hitze ging, brannte ja doch nur mein Gesicht, außerdem wollte ich keine Leute sehen. Ich war mit dem Omnibus an die nordöstliche Stadtgrenze gefahren, zum Bull’s Head Village an der Ecke Dritte und Vierundzwanzigste, dahin, wo all die Tierpferche, Rinderställe und Fleischer hingezogen waren, nachdem man sie aus der Bowery vertrieben hatte. Hier stank es nach frischem Tod, und die Tiere brüllten sich die Seele aus dem Leib. Aber zum Einwickeln von Fleisch gab es dort dünnes, braunes Papier, das fast nichts kostete, und ich kaufte eine ziemlich große Rolle davon. Dann nahm ich einen Sack und füllte ihn mit der gebrauchten Kohle aus einem Kohlenbecken, das jemand neben dem Schafspferch zurückgelassen hatte.
    Mittel und Wege. Ich weiß, wie man sie findet.
    »Du musst rausgehen, dann kann ich mich anziehen.«
    »Dieses hier«, sagte sie und ging zu einem mit Reißzwecken an die Wand gehefteten braunen Stück Papier, auf dem die Fähre von Williamsburg abgebildet war, wie sie unter einem dunklen Juli-Gewitterhimmel aus Peck Slip auslief. Genau so stelle ich mir eine Flussfahrt vor, so hat es immer noch seinen Widerhall in meinem Gedächtnis: ein Boot, dessen Bug einen breiten, friedlichen Fluss durchschneidet, Sekunden bevor ein phantastischer Zusammenprall von Sonnenlicht und Regen stattfindet.
    »Das mag ich besonders gern. Das ist toff. Wo haben Sie das gelernt?«
    »Reich mir mein Hemd«, befahl ich. »Es liegt eins neben der Waschschüssel.«
    Sie brachte es mir lächelnd. Das Lächeln war aufrichtig, verfolgte aber einen Zweck: Hinter dem Charme verbarg sich etwas Taxierendes. Wie würde ich auf einfache Freundlichkeit reagieren?War sie mir angenehm? Ich habe selbst schon Leute auf diese Weise taxiert, aber ich habe es geschickter angestellt. Innerlich schüttelte ich den Kopf. Dieses Mädchen war keine acht Stunden zuvor über und über mit Blut besudelt worden, hatte vorher Gott

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