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Der Teufel von New York

Der Teufel von New York

Titel: Der Teufel von New York Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lyndsay Faye
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weiß was ertragen müssen, und ich sorgte mich um meine Kleidung.
    »Ich heiße Timothy Wilde. Und wie heißt du?«
    »Jeder nennt mich die kleine Bird«, sagte sie mit einem kurzen Schulterzucken. »Bird Daly. Ich kann Ihnen aber auch den richtigen Namen nennen, wenn Sie das möchten.«
    Ich sagte: »Sicher, nur zu«, während ich mein Hemd anzog und mir die bange Frage stellte, wo zum Kuckuck meine Hosen geblieben waren.
    »Aibhilin ó Dálaigh. Ich konnte es immer nicht richtig aussprechen, also habe ich mich Bird genannt, denn Bird ist einfacher und bedeutet genau dasselbe, nur in einer anderen Sprache, also ist Bird genauso gut wie das andere, hab ich mir gedacht. Was denken Sie?«
    Hosen , dachte ich. Ich besaß jetzt zwei Paar, und sie waren mir nie so wichtig erschienen wie jetzt. Endlich berührte mein nackter Fuß schwarzen Stoff, und ich zog sie an, so schnell ich konnte.
    Jetzt starrte Bird auf die große Skizze einer Hütte im Wald, die ganz offensichtlich und heftig in Flammen stand. Die umgebenden Wälder waren ein schwärzliches, ausgebranntes Niemandsland, eine Traumlandschaft, in der alles nach Asche roch. Schließlich hatte ich es mit ausgebrannter Kohle gemalt. Aus welchem Haus auch immer sie stammte, dies war nicht das erste Mal, dass sie Bilder betrachtete. Ihre Augen verglichen die neue Kunst mit der, die sie schon gesehen hatten. Sie kam also nicht aus den Five Points, einem unserer schwärzesten Löcher, und auch nicht aus den Elendsvierteln am East River. Zu wohlgenährt, zu teuer gekleidet und zu kenntnisreich, was Kohlezeichnungen betraf.
    »Wir müssen uns über gestern unterhalten«, schlug ich freundlich vor. »Darüber, was mit dir geschehen ist, und über dein Nachthemd, und wo du hingehörst.«
    »Haben Sie das hier gezeichnet, als Sie jünger waren? Es sieht anders aus.«
    »Nein, die sind alle recht neu. Wir gehen jetzt zu Mrs. Boehm und sehen mal, ob sie einen Tee für uns hat, und dann erzählst du mir, was dich gestern Nacht so verstört hat.«
    Bird hielt vor einem weiteren papierbedeckten Stück Wand inne und runzelte die Stirn. Es war das schlichte Porträt einer blassen Frau mit schwarzen Locken und einer gelehrten Aura; sie hatte das Kinn mit dem Grübchen in die Hand gestützt und blickte mit ihren weit auseinanderstehenden Augen in die Ferne. Es war bloß Mercy, gezeichnet auf braunem Papier.
    »Sie mögen sie«, verkündete Bird finster. »Wahrscheinlich küssen Sie sie ziemlich oft, stimmt’s?«
    »Ich ... also eigentlich, nein, tu ich nicht. Warum ...«
    Wie ich die Skizze so ansah, wurde mir klar, dass die Gefühle, die der Künstler gegenüber seinem Gegenstand hegte, in der Tat auch einem zehnjährigen Mädchen offenkundig sein mussten. Das half nicht sonderlich gegen meine Verwirrung. Unterdessen wurde Birds umwölkte Miene von einer anderen abgelöst – freundlich, fügsam, bemüht, den Fehler wettzumachen. »Nicht jeder küsst gerne. Vielleicht mögen Sie das ja auch nicht? Jedenfalls, wenn Sie diese Frau gern haben, dann werde ich mir Mühe geben, sie auch zu mögen. Wo Sie mich doch hierhergebracht haben und all das.«
    »Du wirst sie nicht kennenlernen. Aber sie ist eine sehr ... bewundernswerte Dame.«
    »Ist sie Ihre Mätresse?«
    »Nein, ist sie nicht. Hör zu, wir müssen uns unter anderem darüber unterhalten, wo du bisher gelebt hast. Denn sie werden dich dort zurückhaben wollen, und wenn sie es nicht verdienen, dich zurückzubekommen, nun, dann müssen wir etwas Neues für dich finden.«
    Bird blinzelte. Dann lächelte sie wieder, da es beim ersten Mal nicht geschadet hatte.
    »Ich möchte nicht gern darüber sprechen«, gab sie zu. »Aberich werde es versuchen, wenn Sie das wollen, Mr. Wilde. Ich denke, ich werde von jetzt an bei Ihnen bleiben. Daher will ich es versuchen.«
    *
    »Du wirst mir jetzt erzählen«, sagte Mrs. Boehm mit sehr freundlicher Stimme, »was letzte Nacht mit deinem Nachthemd passiert ist.«
    Bird, die an dem großen Arbeitstisch saß und anmutig eine Tasse mit einer Mischung aus Johannisbeerwein, heißem Wasser und einem Stück Zucker in ihren kleinen Händen hielt, blickte auf den sich kräuselnden Dampf hinunter. Ihr Gesicht lief dunkelrot an, dann wurde es wieder blass. Das erinnerte mich daran, wie mein Vater mich vor langer Zeit einmal fragte, ob ich das Sattelzeug im Stall schon eingeölt hätte, und mich ein jäher Schreck durchfuhr, denn das hatte ich nicht, und wie ich dann sah, dass Val mir aus der Zimmerecke

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