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Der Teufel von New York

Der Teufel von New York

Titel: Der Teufel von New York Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lyndsay Faye
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zuzwinkerte, in einem der seltenen Momente, in denen er meine Rettung war. Einen solchen jähen Anfall von Panik, bei dem einem der Atem stockt, hatte ich gerade in Birds Augen gesehen.
    »Es ist ein sehr hübsches Nachthemd«, bemerkte ich von meinem Stuhl in der Zimmerecke.
    Das Kompliment glitt einfach an Bird ab, für den Bruchteil einer Sekunde zog sie die Brauen hoch. Ich wurde auf groteske Weise daran erinnert, dass Bird Daly, anders als andere Kinder, die aufmunternde Bemerkungen hinunterschlingen wie Pfefferkuchen, wahrscheinlich eine Menge Schmeicheleien über sich hatte ergehen lassen müssen. Und Schlimmeres.
    »Es hat mir gut gestanden, aber jetzt ist es wahrscheinlich verdorben. Ich mag Ihren Hut«, lautete Birds kluge Erwiderung. »Er steht Ihnen auch.«
    Als mir klar wurde, dass sie wie eine Erwachsene sprach, weil sie zu neunzig Prozent mit erwachsenen Männern Umgang gehabt hatte, die bare Münze für sie zahlten, spürte ich, wie sichmein Gesicht verfinsterte, bevor ich etwas dagegen tun konnte. Ich beschloss auf der Stelle, dass es mir unmöglich war, mit Bird zu sprechen, als wäre sie ein Kindchen und ich ein siebenundzwanzig Jahre alter ehemaliger Polizist mit Kupferstern. Dass ich ausgetrickst wurde, weil ich nicht gewitzt genug war, ein Gespräch in die richtige Richtung zu lenken, war fast schon amüsant. Aber dass ich ausgetrickst wurde, weil ich mein Gegenüber falsch eingeschätzt hatte, war äußerst peinlich.
    »Ich weiß, dass du Angst hast«, sagte ich, »es kann ja jeder sehen, dass letzte Nacht etwas Schreckliches passiert ist. Aber wenn du uns nicht sagst, worum es sich handelt, können wir nicht helfen.«
    »Wo wohnst du, Bird?«, fragte Mrs. Boehm ganz ruhig.
    Birds volle Lippen zuckten widerstrebend. Ich dachte bei mir, auf ganz distanzierte Weise, so als würde ich einen Rosenstrauch betrachten, dass sie schön war. Dann musste ich meinen Magen, der sich schon wieder umdrehen wollte, an seinen angestammten Platz verweisen, was allmählich etwas beschwerlich wurde.
    »In einem Haus westlich vom Broadway, mit meiner Familie«, sagte sie einfach. »Aber ich werde es nie wiedersehen.«
    »Erzähl weiter«, sagte ich. »Wir werden dir nicht böse sein, solange du nur die Wahrheit sprichst.«
    Sie kniff die dunklen, rosenknospigen Lippen wieder zusammen, und dann sprudelten die Worte nur so hervor. Feucht, als weinte sie. Obwohl sie das nicht tat, jedenfalls nicht auf eine sichtbare Weise.
    »Ich kann nicht. Ich kann nicht. Mein Vater kam nach Hause und hat mit einem Messer auf sie eingestochen. Er hätt mich wohl auch erwischt, aber ich bin weggerannt, obwohl ich mich schon fürs Zubettgehen umgezogen hatte.«
    Ich tauschte einen Blick mit Mrs. Boehm, oder versuchte es zumindest, aber ihre blassblauen Augen blieben fest auf Bird geheftet.
    »Auf wen hat er eingestochen?«, fragte ich ernst.
    »Auf meine Mutter«, flüsterte Bird. »Er ist ihr mit dem Messerquer übers Gesicht gefahren. Sie hatte mich gerade nach oben ins Bett gebracht, und da war überall Blut. Er gerät immer völlig außer sich, wenn er saufen war, aber früher hat er nur seine Hände benutzt. Oder seinen Gehstock. Aber nie ein Messer. Mein Mutter schob mich raus und sagte mir, ich soll wegrennen und ich soll nie mehr zurückkommen, weil er sagt, ich koste so viel extra Geld für Essen und Kleider.«
    Sie hielt inne und rieb mit einem zitternden Finger über den Rand der Tasse. Ihre Augen starrten auf eine kleine angeschlagene Stelle im Porzellan.
    Und ich dachte ziemlich gründlich über das Ganze nach.
    Die Szene war nicht schön, aber sie war durchaus vorstellbar . Zahllose Familien werden täglich vom Whiskeypreis in den Ruin getrieben. »Heilige Muttergottes«, hatte ein aus Sligo gebürtiger Mann, der eine ruhige Hand hatte, zu mir gesagt, als er eines Nachmittags im Nick’s einen Drink bestellte, »ich werde meinem Vetter schreiben und ihm raten, besser nicht herzukommen – in der Heimat mag ja die Nahrung knapp sein, aber wenigstens ist der Whiskey teuer.« Es war alles so plausibel.
    Dann dachte ich über ihr Haar nach. Ich dachte darüber nach, welche Art von irischem Mädchen seine Mama wohl immer nur als meine Mutter bezeichnen würde. Meine Mutter schob mich weg . Nicht etwa Mama schob mich weg und sagte, ich soll wegrennen .
    »Ich denke, du solltest uns erzählen, was wirklich geschehen ist«, sagte ich.
    Bird wirkte schockiert, ihr Mund formte sich zu einem O, und in dem Augenblick wurde mir

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