Der Teufel von New York
Wichtiges fragen.«
Sie blieben stumm. Aber Neill spitzte sichtlich die Ohren, und Sophia sah so wachsam aus, wie es bei der Dosis Laudanum, die sie intus hatte, nur möglich war.
»Ich fürchte, einer eurer Freunde, Liam, ist nicht mehr unter uns. Könnt ihr mir sagen, was mit ihm geschehen ist?«
»Er war krank«, flüsterte Sophia.
»Ach ja?«
»Er hatte es mit den Lungen«, erklärte Neill. »War übel beinander. Aber den hätten Sie sehen sollen. Er hat ganz schön gekämpft.«
»Ich hab das Dienstmädchen geschickt, dass sie Erdbeeren holt, von meinem Trinkgeld. Die mochte er so gern. Aber danach ging es ihm auch nicht besser«, erzählte mir Sophia mit glasigen Augen.
»Und ist ihm dann nichts Seltsames passiert?«
»Seltsames? Nix Seltsames. Er war einfach weg«, antwortete Neill. Sophia nickte. »Woher kennen Sie denn Liam?«
»Ich bin ein Freund von Bird Daly.«
»Bird Daly.« Neill lächelte und pfiff durch seine schiefen weißen Zähne. »Bird Daly. Hübsches Ding. Aber die lügt, sobald sie nur den Mund aufmacht.«
»Bird ist viel mutiger als du, und sie hat das Kleid von meiner Puppe besser geflickt, als ich es könnte, Neill Corrigan«, fuhr ihn Sophia an. »Sie ist hübsch, und ihre Lügen sind es auch. Du bist erst zwei Wochen da, du hast keine Ahnung. Ich bin froh, dass ihre Mutter zurückgekommen ist.«
»Ihre Mutter?«
»Ja, die ist gekommen und hat sie mitgenommen. Das hat die Madam uns erzählt.«
»Das stimmt zwar nicht, aber immerhin ist sie weg von dort, und darüber bin ich froh. Für euch alle drei freut mich das. Ich kann euch gar nicht sagen, wie sehr.«
Sophia nickte und sah dabei zitternd aus dem Fenster. Neill sagte die ganze restliche Fahrt kein Wort mehr. Aber er war etwas weniger angespannt und rückte nach zwei oder drei Minuten genauso weit an mich heran wie an Sophia. Das war ein ziemlich großzügiges Geschenk, dachte ich bei mir. Mehr, als ich mir erhofft hatte.
Und was Bird anging – ich hatte sie gern. Sehr gern. Und trotz all ihrer Lügen, Mann mit schwarzer Kapuze hin oder her – ihr hatten wir die Beweislage dieser zwanzig sehr realen Leichen zu verdanken.
Bei St. Patrick’s angekommen, kletterten wir aus der Kutsche. Ich dachte, es würde schwierig werden, nach Mitternacht noch hineinzugelangen. Aber wir mussten es gar nicht an dem ehrfurchtgebietenden Portal in der großen, ausdruckslosen Steinmauer versuchen, denn in dem kleinen Haus hinter der Kathedrale verriet ein erhelltes Fenster, dass hier noch jemand fleißig war. Ich klopfte an die bescheidene, aber sorgfältig gearbeitete hölzerne Tür des Pfarrhauses, flankiert von zwei Kindern mit schmutzigen Füßen. Als Sophia Schritte hörte, stieß sie einen kleinen verängstigten Laut aus, der wie der hohe Ton einer Warnglocke klang.
Neill nahm sie bei der Hand. »Ganz ruhig«, sagte er, obwohl nur mit einem Nachthemd bekleidet, mit großer Autorität.
Pfarrer Sheehy öffnete uns die Tür, noch immer in das geistliche Gewand vom Tage gekleidet, sein kahler Schädel hob sich scharf vor dem trüben Licht der Öllampe ab. Als er sah, wen ich da bei mir hatte und was für Kleidung sie trugen, tat er einen tiefen Atemzug und öffnete uns weit die Tür.
»Kommt schnell herein.«
Er ließ die Kinder an seinem sauberen, quadratischen TischPlatz nehmen und holte Brot und ein kleines Rad Käse aus seiner Speisekammer. Während er alles aufschnitt, sprach er mit uns. Ich stand mit verschränkten Armen an die Tür gelehnt, denn mein Blut war noch zu sehr in Aufruhr, als dass ich ruhig hätte dasitzen können. Pfarrer Sheehy fragte sehr freundlich nach ihrem Namen, und ob sie Eltern hätten, die diese Bezeichnung verdienten, oder nicht, und was heute Nacht geschehen sei. Neill redete am meisten von den beiden, und ich war froh, dass der Priester zunächst ihr Vertrauen gewinnen und dann erst mich befragen wollte. Er würde nur wenig dagegen ausrichten können, wenn sie aus dem Fenster steigen wollten, sobald er ihnen den Rücken kehrte.
»Esst euch satt, ich hole euch noch ein paar Sachen aus dem Lagerraum in der Kirche«, schloss er. »Ich werde Mr. Wilde mitnehmen und bringe euch etwas Besseres zum Anziehen. Neill, sorg dafür, dass sie was isst, ja?«
»Ich hab ein Auge drauf, Hochwürden«, antwortete er. Neill, so dachte ich bei mir, war ein junger Mann, der gern Aufgaben übernahm. Überhaupt kein kleiner Junge mehr.
Draußen in der feuchten Hitze, die schon nach dem Sturm roch, der bald über uns
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