Der Teufel von New York
den beiden also nun auf Wiedersehen sagen.«
Silkie Marshs rosenknospengleiche Züge wurden in alle Richtungen gezerrt, eine vom Sturm verwüstete Blume. Wut überkam sie, es folgte ein dumpfer Schmerz beim Anblick meines Bruders, anschließend erzwungene Resignation. Ich bin eigentlich kein grausamer Mensch und auch nicht stolz auf meine Schadenfreude. Aber es war ein zutiefst befriedigender Anblick.
»Gibt es vielleicht sonst noch etwas, das Sie gern mitnehmen würden, Mr. Wilde? Valentine?« Geschmeidig glitt ihre Hand über ihr Satinmieder. Eine glänzende Theaternummer, denn ihre Wut war verschwunden.
Val schnippte mit den Fingern. »Das hätte ich fast vergessen! Wir haben demnächst ein Treffen des Spendenkomitees, Silkie, und ich weiß, du unterstützt doch immer die Partei. Ich nehme mal die drei Dollar wieder an mich und danke dir schön für deine Mühe. Ich wünsche dir eine gute Nacht, mein liebes Hummelchen.«
Silkie Marsh reichte ihm das Geld. Als Valentine hinausging, schickte sie ihm einen Blick hinterher, der ihn eigentlich in Flammen hätte aufgehen lassen müssen. Ich wollte sie noch einmal fragen, ob noch andere Kinderdirnen vermisst wurden. Sie fragen, ob sie meine, sie könnte mich weiter an der Nase herumführen, wo ich sie doch längst durchschaut hatte. Aber sobald ich das tat, wüsste sie Bescheid, dass ich Bird kannte. Und das ließ mich zögern, denn ich musste an Bird denken, wie sie mit zitternden Lippen dastand und sich standhaft weigerte, Silkie Marsh beim Namen zu nennen.
Also tippte ich stattdessen kühl an meinen breiten Hut und verließ dieses schauerliche Haus so schnell ich konnte. Dannstand ich draußen auf dem Pflaster mit zwei barfüßigen, fast identisch gekleideten Kindern und grinste so breit, als sei ich nicht ganz richtig im Kopf. Mein Bruder, die Zigarre im Mundwinkel, die Hände in die schmalen Hüften gestemmt, schüttelte philosophisch den Kopf.
»Diese dreckige Spinne«, murmelte er. »Ich bin bestürzt über die Ehrlosigkeit der New Yorker Bevölkerung. Vor ein paar Jahren habe ich sie mehr oder weniger als Mätresse ausgehalten, weißt du? Und dann das, vor meiner Nase, die ganze Zeit über ... nun ja, ich war eben halb weggetreten die meiste Zeit. Also, Timothy, ich habe eine Frage an dich.«
»Ja?«
Valentine zeigte mit zwei gespreizten Fingern auf die Kinder, die mit weit aufgerissenen Augen in der feucht-schwülen Augustluft auf der Straße standen, und fragte: »Was genau hast du eigentlich mit den zweien da vor?«
10
Eltern, die sich wünschen, die Erziehung ihrer Kinder möge diesen Herz und Verstand öffnen, sollten es niemals gestatten, dass ein Jesuit ihnen auch nur ein Wort ins Ohr flüstert.
Amerikanische Protestanten zur Verteidigung
der Bürgerlichen und Religiösen Freiheit
gegen den Vormarsch des Papsttums, 1843.
Die Kinder drängten sich in der Mietdroschke aneinander. Sophias Blick blieb verständnislos an ihrer Umgebung hängen, als sei sie schon sehr lange nicht mehr aus dem Haus gekommen. Vielleicht war sie überhaupt noch nie draußen gewesen. Aber Neills Blick war verschleiert. Das kurze Aufflackern wilder Freiheit in seinen Augen war einer dumpfen, stillen Scham gewichen. Er hatte die Lippenfarbe am Ärmel seines Hemdes abgewischt und dabei auf seinem Arm einen Fleck wie eine klaffende Wunde hinterlassen.
»Wann bist du in dieses Haus gekommen?«, fragte ich. »Und wie?« Er lief zu beiden Seiten seiner spitzen, kleinen Nase rot an, was selbst unter den Sommersprossen zu sehen war. »Vor zwei Wochen erst. Mein Alter hat als Maurer gearbeitet, aber dann war Schluss damit, weil er gesoffen hat. Sie sagte, in ihrem Haus, das wär wie in einem Theater, wo die Leute, wenn Feierabend ist, Spiele spielen und feine Sachen essen. Ich hatte seit einer Woche nix zu beißen gehabt, nur’n paar Äpfel, die ich aus ’nem Schweinetrog geklaut hab. Dann hat sie mich nicht mehr rausgelassen. Ein bisschen was davon hat auch gestimmt«, endete er schließlich trotzig, und seine schrille Stimme brach ein wenig. »Einbisschen was stimmte. Es gab Fischeintopf und gutes, frisches Fleisch. Ich dachte, Sie sind Barkeeper?«, setzte er hinzu. Misstrauisch, wie er es wahrscheinlich für den Rest seines Lebens bleiben würde.
Ich erklärte ihm, was ich hier tat. Und gleichzeitig fragte ich mich, ob das Verlangen, Silkie Marsh den wohlgeformten Hals umzudrehen, wohl ungebührlich für einen Polizisten war.
»Neill, Sophia, ich muss euch etwas
Weitere Kostenlose Bücher