Der Teufelsfürst
unübersichtlichen Menge von Höflingen und Beamten, die Vlad allesamt neugierig musterten, als dieser sich vor ihrem Herrn zu Boden warf. »Steh auf«, befahl Murad schließlich, ehe er sich von dem goldbestickten, diwanähnlichen Herrschersessel erhob. Vlad kam auf die Beine und betrachtete in demütiger Haltung seine Schuhspitzen. »Ich habe schlechte Nachrichten für dich«, dröhnte die Stimme des Sultans. Vlad hielt sich nur mit Mühe und Not davon ab, den Kopf zu heben und ihn anzustarren. »Vor einiger Zeit wurde berichtet, die Ungarn würden zum Krieg rüsten«, fuhr der Sultan fort und Vlad presste die Kiefer aufeinander, da – egal, was nun kommen würde – es nichts war, was er hören wollte.
»Das entspricht der Wahrheit«, ließ Murad ihn wissen. »Allerdings nicht gegen das Osmanische Reich, sondern gegen deinen Vater.« Vlad entfuhr ein überraschter Ausruf. »Meinen Vater?«, keuchte er und fiel augenblicklich erschrocken auf die Knie, da er gesprochen hatte, ohne dazu aufgefordert worden zu sein. Doch der Sultan schien in gnädiger Stimmung zu sein. »Ja, deinen Vater. Weil dieser einen Bündnisvertrag mit uns geschlossen hat. Es ist zu spät, um ihm Verstärkung zu schicken«, fuhr der osmanische Herrscher fort. »Daher können wir nur abwarten.« Er bedeutete Vlad, sich wieder zu erheben. »Da aus Albanien nur Gutes über dich berichtet wurde, wirst du ab heute in einem Gemach im Innersten des Palastes wohnen.« Obschon Vlad erschüttert war über die schlimmen Neuigkeiten, stahl sich ein Hauch Genugtuung in sein Herz. Die Ehre, ein eigenes Gemach im dritten Hof, im königlichen Harem, zu bewohnen, wurde nicht jedem zuteil. Das bedeutete, dass er nicht nur die Gunst des Großwesirs, sondern auch die des Sultans für sich gewonnen hatte. Und das wiederum zeigte, dass sein Plan, Früchte zu tragen begann. Wenn sein Vater fiel, würde man ganz sicher ihn zum Woiwoden der Walachei ernennen! Der Gedanke erschreckte ihn. Hastig schob er ihn zur Seite. Allerdings schlich er sich augenblicklich wieder in seinen Kopf.
Als der Sultan ihn mit einem Wink entließ, zog Vlad sich rückwärtsgehend in die Reihen der Höflinge zurück. Während ein graubärtiger Pascha vor Murad auf die weißen Marmorfliesen sank, ließ Vlad heimlich den Blick über die versammelten Pagen schweifen, um sich von unangemessenen Zukunftsträumen abzulenken.
Dann entdeckte er Radu. Dieser stand mit gesenktem Kopf in einer der hintersten Ecken der Halle neben einem Eunuchen, dessen Hand auf seiner Schulter lag. Der dunkle Schopf war bedeckt von einem mokkafarbenen, perlenbestickten Turban und sowohl den Kaftan als auch die darunter sichtbare Entari zierte ein kunstvolles Blumenmuster. Ein mit fingernagelgroßen Juwelen besetzter Gürtel wetteiferte in seiner Pracht mit den Ringen des Knaben. Und als dieser den Blick hob, erkannte Vlad selbst aus der Entfernung die mit Kohlestift gezogene Umrahmung der blauen Augen. Auch sein Mund wirkte roter, als Vlad ihn in Erinnerung hatte. Irgendetwas an der Art, wie sein Bruder sich an den Eunuchen drängte oder viel eher schmiegte, wollte ihm ganz und gar nicht gefallen. Der Blick des Jungen lag auf etwas oder jemandem, den Vlad von seiner Position aus nicht sehen konnte.
Aber als der Sultan die Audienz schließlich beendete, erschien Prinz Mehmet wie aus dem Nichts auf der Bildfläche. Wo er sich während des Empfangs aufgehalten hatte, war Vlad schleierhaft. Doch der Hass, der ihn bei seinem Anblick überwältigte, war so gewaltig, dass er spürte, wie das Blut in seinen Schläfen zu pulsieren begann. Noch fetter als vor Vlads Aufbruch nach Albanien schob der Prinz nun einen beachtlichen Bauch vor sich her. Auch das Doppelkinn zeugte von einem ausschweifenden Lebensstil. Ohne auf die tiefen Verneigungen der Höflinge zu achten, bahnte er sich einen Weg zu Radu und packte ihn besitzergreifend am Arm. Mit dieser Geste, auf die ein verächtlicher Blick folgte, suchte Mehmet, ihn zu provozieren. Das war Vlad völlig klar und berührte ihn daher kaum. Die Tatsache, dass sein Bruder dem Prinzen ein Lächeln schenkte und strahlend zu ihm aufsah, war hingegen schwerer zu verkraften und verwandelte seinen Hass in eisiges Entsetzen. Fassungslos verfolgte er, wie Mehmet Radu auf die hohe Doppelpforte zuführte und kurz darauf mit ihm verschwand.
Als habe ihm jemand einen Schlag in die Magengrube versetzt, rang er nach Luft, da ihm mit grausamer Deutlichkeit bewusst wurde, was die Szene zu bedeuten
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