Der Teufelsfürst
Tag früh hereingebrochen.
Es hatte begonnen, leicht zu regnen. Der Wind hatte gedreht und wehte inzwischen eisig aus dem Osten. In der Mitte des Zeltes brannten drei Kohlebecken, doch die Wärme drang nicht bis in die hintersten Reihen vor, sodass nicht nur Zehra fröstelte. »Macht eure Zelte winterfest«, verkündete der Herzog soeben in der Sprache der Sinti, die Zehra inzwischen leidlich verstand. »Johann Hunyadi und der Bürgermeister haben Almosen für die Armen zugesagt. Wir werden hier bleiben, bis die Karpaten im Frühjahr sicher zu überqueren sind. Dann ziehen wir in die Walachei, um dort unsere Leute aus der Fron zu befreien.« Zehra spitzte die Ohren. Also hatten die Gerüchte gestimmt, die sie auf dem Weg nach Passau gehört hatte! »Aber denkt daran«, warnte Michel, »wer die Gesetze der Stadt bricht, wird streng bestraft!« Ein Raunen ging durch die Reihen, da die Zigeuner wussten, was ihr Anführer unter strengen Strafen verstand. »Und jetzt könnt ihr eure Beschwerden und Klagen vorbringen.« Mindestens einmal im Monat hielt der Herzog Gericht über seine Untertanen, um zu vermeiden, dass es zwischen den Familien zu Streit oder gar Blutfehden kam. Nachdem sich zuerst keiner rührte, traten nach nochmaliger Aufforderung zwei Chengii – zwei Tänzerinnen – vor ihn und beschuldigten sich gegenseitig, der anderen den Mann wegnehmen zu wollen. Eine Zeit lang verfolgte Zehra, wie die beiden sich in den höchsten Tönen ankeiften, dann verlor sie das Interesse. Denn allmählich wurde ihr klar, was Michels Ankündigung für sie selbst bedeutete. Während sich aufgebrachte Rufe zu dem schrillen Gezeter der Zigeunerinnen gesellten, schloss sie einige Sekunden lang die Augen und dankte dem Allmächtigen, der endlich ihre Gebete erhört hatte. Endlich würde sie Utz nicht nur mitteilen können, wo sie sich im Augenblick befand, sondern auch, wo sie sich in absehbarer Zukunft aufhalten würde.
Und somit konnte er jemanden ausschicken, der sie zurück in ihre Heimat bringen würde! Jemanden, der sie auch tatsächlich dort antreffen würde, wo er suchte!
Sie presste das kleine Holzkreuz, das Reyka ihr geschenkt hatte, an die Lippen. Es war richtig gewesen, nicht an Gott zu zweifeln! All das Unglück war tatsächlich eine Prüfung ihres Glaubens, die sie allem Anschein nach bestanden hatte! Ihre Großmutter hatte unrecht – Gott interessierte sich doch für die Frauen! Sie ließ das Kreuz los und verschlang die Finger ineinander, während sie versuchte, den Aufruhr in ihrem Inneren unter Kontrolle zu bringen. Dieses Zeichen der Barmherzigkeit ließ sie zuversichtlich sein, dass auch ihr Flehen um Utz’ Sicherheit nicht auf taube Ohren gestoßen war. Ganz gleich, wie sehr sie versucht hatte, ihr altes Leben – und damit auch alle Hoffnung auf Rettung – zu begraben, es war ihr nicht gelungen. Jeden Abend hatte sie für das Wohlergehen ihres Bruders gebetet. Und die Sorge um den Lebenden, die immer heftiger an ihr nagte, hatte allmählich den Schmerz in ihrem Herzen zurückgedrängt. Zwar war die Trauer um ihren Vater immer noch ein ständiger Begleiter; ein Begleiter, der sie gelegentlich mit furchtbarer Kraft überwältigte und ihr den Boden unter den Füßen wegzog. Aber vor einigen Nächten hatte sie das erste Mal wieder von ihm geträumt, so wie er war, bevor ihn jemand aus ihrem Leben gerissen hatte. Sie wischte sich mit dem Ärmel über die Augen, da die Erinnerung an diesen Traum Tränen aufsteigen ließ. Diese waren so lange Zeit versiegt gewesen, dass sie befürchtet hatte, niemals wieder weinen zu können. Die Weisheit ihrer Großmutter fiel ihr erneut ein: Gott bürdet einem nur die Last auf, die man tragen kann. Bevor man zerbricht, sendet er Rettung. »Bitte lass es so sein«, murmelte Zehra.
Kapitel 56
Burg Katzenstein, Oktober 1447
»Unterzeichnet endlich!« Utz spürte die Spitze einer Waffe im Rücken. Fassungslos starrte er auf das Schriftstück hinab, das ihm die alte Hexe vorgelegt hatte.
»Hiermit verzichte ich, Utz von Katzenstein, rechtmäßig angetrauter Gatte von Sophia von Katzenstein, auf das Scheidungsrecht«, stand dort geschrieben. Utz wusste, was es bedeuten würde, wenn er seinen Namen unter dieses Dokument setzte: Dass er die ihm aufgezwungene Ehefrau niemals loswerden und für immer in den Klauen Johann von Katzensteins und seiner teuflischen Mutter zappeln würde! Um Zeit zu gewinnen, hob er den Blick und sah seine herausgeputzte Gemahlin an. Diese stand mit
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