Der Teufelsfürst
wieder eine plausible Erklärung für die Verzögerung: den schlechten Zustand der Straßen; die Beschwerlichkeit der Reise; die Vermutung, dass Utz unterwegs halt bei seinen Handelspartnern machte oder alle möglichen anderen Gründe. Reyka schürzte die Lippen und dachte nach. »Du könntest hier bleiben«, sagte sie, doch Zehra schüttelte den Kopf. »Daran habe ich auch schon gedacht. Aber wenn es noch Monate dauert, bis Utz endlich hier eintrifft, was dann?
Das glaube ich zwar nicht, aber es könnte immerhin möglich sein. Ich habe zwar genug Geld, um ein paar Wochen zu überleben, aber nicht für länger. Und ohne dich kann ich keine Arznei herstellen.« Sie deutete auf die zahllosen Tiegel, Säckchen und Töpfe. »Da könnte ich genauso gut alleine durch die Wälder streifen!« Die Zigeunerin nickte. »Du musst dich entscheiden«, sagte sie. »Der Herzog hat befohlen, dass wir aufbrechen, sobald der Morgen graut. Wenn du nicht mit uns ziehen willst, musst du dich zuerst loskaufen, ehe er dich gehen lässt.« Das wusste Zehra. Doch damit wäre bereits ein großer Teil ihrer Ersparnisse aufgebraucht. Immerhin hatte sie inzwischen die Möglichkeit, sich freizukaufen! Sie biss sich auf die Unterlippe. »Sobald der Fürst der Walachei mit Herzog Michel handelseinig ist, kehren wir zurück in den Westen«, versuchte Reyka sie aufzumuntern. »Es ist seine Pflicht, die Mitglieder seiner Sippe aus der Fron zu befreien.« Sie legte Zehra die Hände auf die Schultern und blickte ihr ernst in die Augen. »Wir brauchen dich«, sagte sie. »Ohne dich wäre Kaliya nicht mehr am Leben. Und ihr Kind auch nicht.« Zehra wurde die Kehle eng, als sie an die schwere Geburt zurückdachte, welche die junge Frau beinahe das Leben gekostet hatte. Wäre sie nicht geistesgegenwärtig genug gewesen, das Kind im Leib der Mutter zu drehen, wie ihre Großmutter es ihr geschildert hatte, wären Mutter und Sohn schon lange unter der Erde.
»Komm mit uns«, drängte Reyka und kramte in der Tasche ihres Rockes. »Du kannst einen der Kronstädter Boten dafür bezahlen, nach deinem Bruder Ausschau zu halten.« Sie griff nach Zehras Hand und drückte ihr ein paar Münzen hinein. »Ich helfe dir, ihn zu bezahlen.« Gerührt schluckte Zehra den Protest, der ihr auf der Zunge lag, und wog den Vorschlag ab. Dann seufzte sie und sagte: »Du hast recht. Alles andere wäre dumm.« Reyka strahlte sie an. »Dann beeil dich, damit du rechtzeitig zurück bist, um Maras Geschichte zu hören!« Zehra steckte das Geld ein und band sich ein Tuch um den Kopf. Mara war eine der ältesten Sinti-Frauen. Ihre Geschichten brachten nicht nur die Kinder zum Gruseln.
Wäre sie nicht gewesen, wäre den Sinti der lange Winter gewiss noch endloser erschienen. Da Herzog Michel sie am Morgen für den Rest des Tages entlassen hatte, hatte Zehra keine weiteren Verpflichtungen. Während sie mit gerafften Röcken über das junge Gras der Wiese eilte, überlegte sie, wem sie am ehesten vertrauen konnte. Als sie das Stadttor durchschritt, hatte sie eine Entscheidung getroffen. Wenig später klopfte sie an die Tür des Pfarrhauses und erwiderte das freundliche Lächeln des Paters. Wenn man einem Mann Gottes nicht vertrauen konnte, wem dann? Nachdem sie ihm ihr Anliegen geschildert hatte, legte er die Stirn in Falten und sagte schließlich: »Jakob, der Messdiener, ist der Richtige für deinen Auftrag.« Er streckte die Hand aus und nahm die Bezahlung entgegen. »Ich werde ihm dein Geld geben und ihm deinen Bruder beschreiben.« Er machte ein Kreuzzeichen.
»Möge der Herr mit dir sein.«
Kapitel 64
Burg Katzenstein, April 1448
Das Umland von Katzenstein war eine verbrannte Ödnis.
Wälder, Felder, ja selbst das Weideland waren genauso ein Raub der Flammen geworden wie die Behausungen der Dorfbewohner, von denen so gut wie keiner mehr am Leben war.
Obgleich mit dem Frühling eigentlich auch das Leben hätte zurückkehren müssen, sang kein einziger Vogel in den kahlen Skeletten der verkohlten Bäume. Die Tierkadaver auf den Futterwiesen zogen schon lange keine Aasfresser mehr an, da diese sich die Bäuche bereits bis zum Bersten gefüllt hatten. Lediglich der Dorfpfarrer und einige wenige Schwangere waren von den Rittern der Gesellschaft mit Sankt Wilhelm verschont worden, die sich nicht einmal an den Gottesfrieden hielten.
Dieser galt eigentlich von Mittwochabend bis Montagmorgen.
In dieser Zeit sollte jede Fehde ruhen. Doch das schien die Belagerer nicht sonderlich zu
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