Der Teufelsfürst
dabei zusah, wie sein Çokadar seinem Rappen das neue, silberbeschlagene Zaumzeug überstreifte und den ebenfalls neuen Sattel auf seinen Rücken hievte, fragte er sich, wann der Sultan wohl den Befehl zum Abmarsch erteilen würde. Am Morgen dieses heißesten aller bisherigen Sommertage waren weitere Spione in Edirne eingetroffen. Und ihr Bericht hatte sich in Windeseile im Palast verbreitet: Das ungarische Heer stand kurz vor dem Aufbruch nach Süden. Über 32 000 Mann hatte Johann Hunyadi offenbar zusammengezogen – ein Teil davon Soldtruppen aus Italien und Deutschland; ein anderer Teil eingekaufte Fußtruppen sowie gepanzerte Reiter. Und – eine Tatsache, die Vlads Grimm besonders schürte – 8 000 Mann, die der unrechtmäßige Woiwode der Walachei zur Verfügung gestellt hatte. Dieser selbst nahm offenbar persönlich an dem Feldzug teil, genau wie Hunyadi und mehrere seiner Verwandten. Wenn es das Schicksal ihm vergönnte, den Usurpator zu überwältigen, würde es Vlad ein Hochgenuss sein, diesem einen quälend langsamen Tod auf dem Pfahl zu bereiten. Zwar wusste er immer noch nichts Genaues darüber, wie sein Vater und sein Bruder zu Tode gekommen waren. Doch ganz gewiss würde Wladislaw auf dem Pfahl jeden einzigen seiner Helfershelfer verraten. Und dann würde Vlad wie ein Gottesgericht über die Verräter kommen und sie auslöschen wie schwache Kerzenflammen! Er ließ sich von seinem Çokadar in den Sattel helfen, da die Prunkgewänder ihm weniger Bewegungsfreiheit gaben als das Panzerhemd der Sipahi. An manchen Tagen sehnte er sich nach der einfacheren Kleidung der Reitersoldaten, da all die Haken, Ösen und Knöpfe bedeuteten, dass er sich nicht ohne Hilfe anziehen konnte. Allerdings hatten die fließenden Gewänder auch Vorteile. Vor allem, wenn die Sonne so erbarmungslos vom Himmel stach, wie heute. Sobald er auf dem Rücken seines Hengstes thronte, gab er diesem die Sporen und trabte durch das äußere Tor des Palastes. Über die zahllosen kleinen Brücken, welche die Flussarme überspannten, gelangte er schließlich zu einem der Stadttore, das er unbehelligt passierte. Als sich das Land vor ihm öffnete, grub er dem Rappen die Fersen in die Flanken und flog in gestrecktem Galopp über Wiesen, Felder und staubige Wege. Ohne Rücksicht auf sein Reittier trieb er dieses so lange an, bis das Fell des Rappen schweißnass glänzte und sich kleine Schaumflöckchen von seinem Maul lösten. Erst dann zügelte er ihn zu einer langsameren Gangart und machte sich auf den Rückweg zum Palast.
Der scharfe Ritt hatte ihm geholfen, die Gedanken in seinem Kopf zu ordnen. Und obwohl er sich geschworen hatte, Radu in Edirne verrotten zu lassen, wenn er es unbedingt wollte, beschloss er, einen letzten Versuch zu seiner Rettung zu unternehmen. Auch wenn allein die Erinnerung an ihre letzte Begegnung sein Blut zum Kochen brachte. Da durch den Tod ihres Vaters auch Radu ein freier Mann war, konnten die Janitscharen Vlad den Zugang zu seinen Gemächern nicht mehr verwehren. Aber das schien nur im ersten Moment einen Unterschied gemacht zu haben. »Bitte lass mich allein«, hatte Radu bei Vlads letztem Besuch kühl gebeten und mit der Hand an einer Kette genestelt, die sein Bruder ihm am liebsten vom Hals gerissen hätte. Jede einzelne Perle dieser Kette war ein Zeichen seiner Schwäche! Genau wie all die protzigen Ringe und der riesige Smaragd, der Radus Turban zierte. Als Vlad seinen Hengst in den Ställen abgegeben hatte, begab er sich auf direktem Weg zu Radus Unterkunft und hieb mit der Faust gegen die Tür. Zuerst schien es, als sei niemand da.
Dann allerdings öffnete einer der drei Pagen, die Radu stets umschwirrten, und verneigte sich tief. Da er seinen Bruder vor einem der hohen Fenster erspähte, schob Vlad den Knaben zur Seite und betrat uneingeladen den Raum. »Radu«, sagte er so ruhig wie möglich, doch sein Bruder ließ mit keinem Wimpernzucken erkennen, dass er seine Anwesenheit wahrgenommen hatte. Er saß an einem Tisch – die Hände von sich gestreckt – und sah mit schief gelegtem Kopf dabei zu, wie ein weiterer junger Bursche seine Fingernägel bearbeitete. Auf seinem Kopf saß ein schreiend gelber Turban, auf dem eine lächerliche Feder bei der kleinsten Bewegung hin und her wippte. Sein schmächtiger Körper steckte in einem orangefarbenen Kaftan. Von Weitem wirkt er wie eine riesige Zitrusfrucht, schoss es Vlad durch den Kopf. Er schüttelte den albernen Gedanken ab und näherte sich Radu. Als
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