Der Thron der roten Königin
Denn wer trägt die Schuld für unsere Niederlage, wenn nicht er und alle diejenigen, die zu Hause geblieben sind, obwohl ihre Königin sie gerufen hat und wir in der größten Gefahr waren? Mein Schwiegervater starb, weil er in der Schlacht geschlagen wurde. Wessen Schuld soll das sein, wenn nicht die seines Sohnes, der nicht an seiner Seite reiten wollte? Henry erzählt mir, dass der Duke of York von betäubtem Schweigen empfangen wurde, als er – den König als Gefangenen neben sich – in London einritt. Die Bürger von London sind, wie sich jetzt erweist, nur halbherzige Verräter, denn als York die Hand auf den marmornen Thron legte, um die Königswürde zu beanspruchen, bekommt er keine Unterstützung.
«Wie sollte es auch anders sein?», frage ich. «Wir haben schon einen König. Das wissen selbst die treulosen Männer Londons.»
Mein Gatte seufzt, als sei er meiner Überzeugungen überdrüssig. Mir fällt auf, wie erschöpft und alt er aussieht und wie tief die Furche zwischen seinen Augenbrauen ist. Der Kummer und die Verantwortung für sein Haus drücken ihn nieder. Wenn unser König in Gefangenschaft ist und wir keine Macht mehr haben, wird uns jemand unseren kleinen Herzog wegnehmen und ihn als Mündel zu sich nehmen, um sich an seinen Ländereien zu bereichern. Wäre mein Gatte bei Lancaster oder York einer der Großen, so hätte er beim weiteren Schicksal seines Neffen, des zukünftigen Oberhauptes unserer Familie, ein Wort mitzureden gehabt. Hätte er sich Mühe gegeben, wäre er heute einer der großen Männer. Doch da er sich dafür entschied, zu Hause zu bleiben, ist er jetzt in der Bedeutungslosigkeit versunken. Er hat sich selbst zu einem Niemand gemacht. Die großen Entscheidungen der Welt werden ohne ihn fallen, und er kann noch nicht einmal die Seinen schützen, wie er es behauptet hat.
«Sie haben eine neue Vereinbarung aufgesetzt.»
«Was für eine Vereinbarung?», frage ich ihn. «Wer hat ihr zugestimmt?»
Er wirft einem Hausdiener seinen Reiseumhang zu. Dann lässt er sich auf einen Stuhl fallen und winkt einem Knappen, ihm die Stiefel auszuziehen. Ich frage mich, ob er krank ist – er sieht so grau und erschöpft aus. Allerdings ist er auch sehr alt für eine solche Reise, schon fünfunddreißig. «Der König soll den Thron bis an sein Lebensende behalten, und der nächste König soll dann ein York sein», sagt er nur. Er wirft mir einen Blick zu, nur um gleich wieder wegzusehen. «Ich wusste, dass dir das nicht gefällt. Es gibt keinen Grund, dich deswegen zu beunruhigen, es wird wahrscheinlich ohnehin nicht von Dauer sein.»
«Der Prince of Wales wird seiner Rechte beraubt?» Ich bin so schockiert, dass mir die Worte kaum über die Lippen kommen. «Wie kann er Prince of Wales sein und nicht König werden? Wie kann irgendjemand glauben, er könnte ihn übergehen?»
Henry zuckt die Achseln. «Ihr alle, die ihr in der Thronfolge standet, sollt beraubt werden. Du gehörst nun nicht mehr dem regierenden Haus an. Dein Sohn ist nicht mehr mit dem König verwandt, und er ist auch kein Thronerbe mehr. Nun heißt es York, York und seine Linie. Ja», wiederholt er, trotz meiner Fassungslosigkeit, «er hat für seine Söhne das gewonnen, was ihm niemand geben wollte. Yorks Söhne folgen auf den König. Die neue königliche Linie entstammt jetzt dem Hause York. Die Lancasters werden zu königlichen Cousins. Darauf haben sie sich geeinigt. Der König hat geschworen, dem zu folgen.»
Er erhebt sich und will auf Strümpfen in seine Gemächer gehen.
Ich lege ihm die Hand auf den Arm. «Aber das ist genau das, was Johanna gesehen hat!», rufe ich aus, «als ihr König übergangen und sein Erbe einem anderen übergeben wurde. Genau das hat sie gesehen, als sie ihren König nach Reims zur Krönung gebracht hat, einer gotteslästerlichen Vereinbarung zum Trotz, dass er nicht gekrönt werden sollte. Sie sah, dass die gottgegebene Ordnung übergangen werden sollte, und kämpfte für den wahren Erben. Das war ihre Größe. Sie hat den wahren Erben erkannt und für ihn gekämpft.»
Sein übliches Lächeln für mich will ihm nicht gelingen. «Na und? Glaubst du, du könntest Edward, den Prince of Wales, nach London bringen und ihn trotz dieser Niederlage, trotz dieser Vereinbarung, krönen lassen? Willst du eine geschlagene Armee anführen? Willst du Englands Johanna sein?»
«Einer muss es ja tun», rufe ich leidenschaftlich. «Der Prinz darf seines Thrones nicht beraubt werden. Wie konnten sie
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