Der Thron der roten Königin
diesselben sein.»
«Glaubst du wirklich, dass Gott im Himmel mit all seinen Engeln von Anbeginn der Zeit bis zum Tag des Jüngsten Gerichts auf die Welt herunterblickt, auf dich und deinen kleinen Henry Tudor, und befindet, was immer ihr tut, sei sein Wille?»
Das klingt irgendwie nach Blasphemie. «Ja, das glaube ich», halte ich unsicher dagegen. «Jesus Christus selbst hat mir verheißen, dass ich so kostbar bin wie die Lilien auf dem Felde.»
«Und das bist du», räumt er lächelnd ein, als wollte er mich mit einer Geschichte trösten.
Das bringt mich zum Schweigen. Während des restlichen Rittes denke ich darüber nach. «Glaubst du denn, dass es viele Männer wie dich gibt, die sich nicht mit Haut und Haar der einen oder anderen Seite verschrieben haben?», will ich am Abend wissen, als er mir im Hof eines schmuddeligen kleinen Gasthofes an der Straße nach Cardiff aus dem Sattel hilft.
Er tätschelt Arthurs dunklen Hals. «Ich glaube, die meisten Männer entscheiden sich dafür, dem Haus zu folgen, das ihnen Frieden und Sicherheit verspricht», antwortet er. «Natürlich sind sie auch dem König zu Loyalität verpflichtet, und niemand kann bestreiten, dass König Henry Englands gekrönter König ist. Aber wenn er untauglich ist zum Regieren? Wenn er wieder krank wird und handlungsunfähig ist? Wenn er von der Königin gelenkt wird und sie schlecht beraten ist? Wie kann es ein Verbrechen sein, sich den Nächsten in der Thronfolge auf seinem Platz zu wünschen? Wenn er der königlichen Linie entstammt und ihm so nah steht wie ein Cousin? Wenn sein Thronanspruch so begründet ist wie Henrys?»
Ich bin so erschöpft, dass ich mich an Arthurs große, tröstliche Schulter lehne. Da zieht mein Gemahl mich an sich. «Zerbrich dir darüber jetzt nicht den Kopf», beruhigt er mich. «Jetzt holen wir deinen Sohn und bringen ihn in Sicherheit. Dann kannst du darüber nachdenken, wen ihr beide, Gott und du, als Herrscher des Königreiches bevorzugt.»
***
Am zehnten Morgen unserer Reise, an dem wir auf engen, steinigen Pfaden durch hohes Bergland reiten, versichert mir mein Gatte: «Gegen Mittag müssten wir da sein.» Bei dem Gedanken, dass ich meinen Sohn so bald wiedersehe, schnappe ich nach Luft. Wir senden Kundschafter zur Burg, um herauszufinden, ob es sicher ist, sich ihr zu nähern. Es scheint alles ruhig zu sein. Während wir noch in einiger Entfernung warten und mein Gemahl mich gerade darauf hinweist, dass die Burgtore geöffnet sind und die Zugbrücke herabgelassen ist, kommt ein Mädchen mit einer Schar Gänse heraus und lockt sie zum Fluss.
«Sieht sicher aus», sagt mein Gemahl vorsichtig, sitzt ab und hilft mir vom Pferd. Wir gehen zum Flussufer. Die Gänse sind schon im Wasser, einige gründeln mit ihren gelben Schnäbeln im Flussbett. Das Mädchen sitzt auf einer Bank und spielt mit einem spitzenbesetzten Band.
«Mädchen, wer ist der Herr dieser Burg?», fragt mein Gemahl sie.
Beim Klang seiner Stimme erschrickt sie, nimmt aber sogleich Haltung an und knickst. «Das war der Earl of Pembroke, aber der is wech, innen Krieg», bringt sie mit so starkem Akzent hervor, dass ich sie nur mit Mühe verstehe.
«Hat jemand Besitz von der Burg genommen, nachdem er fort ist?»
«Nee, wir denken ja, dass er zurückkommt. Wisst Ihr, wo er is, Sir?»
«Nein, leider nicht. Ist der kleine Junge noch in der Kinderstube?»
«Der lütte Herzoch? Ja, klar. Ich kümmere mich auch um die Hühner und schick ihm jeden Morgen ’n frisches Ei in die Burg.»
«Tatsächlich?» Ich kann vor Freude kaum an mich halten. «Er bekommt wirklich jeden Morgen zum Frühstück ein frischgelegtes Ei?»
«Ja, sicher doch», sagt sie. «Und die erzähln, er will immer gern ’ne Scheibe gebrat’nes Huhn zum Abendessen.»
«Wie viele Bewaffnete?», schaltet sich mein Gemahl ein.
«Hundert», sagt sie. «Aber dreimal so viel sind mit Jasper Tudor ausgeritten und nich zurückgekommen. Sie sagen, es war eine schreckliche Niederlage. Sie sagen, Gott hat drei Sonnen am Himmel scheinen lassen, und er hat unsere Söhne verflucht, und nun verfluchen die drei Söhne von den Yorks unser Land.»
Mein Gemahl wirft ihr über den Fluss eine Münze zu, und sie schnappt sie behände aus der Luft. An der Straßenbiegung, wo sich unsere Männer versteckt halten, sitzen wir wieder auf. Mein Gemahl befiehlt ihnen, unsere Standarte einzuholen, im Schritttempo anzureiten und auf Kommando sofort anzuhalten. «Wir wollen keinen Schwarm Pfeile als
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