Der Thron der roten Königin
dazu ein paar Diener und Kundschafter.»
Er nickt. Dieser Junge ist in Kriegszeiten groß geworden, einer der größten Befehlshaber unseres Hauses hat ihn erzogen. Eine Truppeninspektion ist ihm allemal interessanter als das Abendbrot.
«Sehr gern. Ich gehe nur meine Jacke holen.» Er läuft hinüber ins Schlafzimmer, und wir hören, wie er dem Kindermädchen zuruft, er brauche seine beste Jacke, denn er wolle die Wache seiner Mutter inspizieren.
Henry lächelt mich an. «Netter kleiner Kerl», sagt er.
«Er hat mich nicht erkannt.» Ich halte die Tränen zurück, doch das Beben meiner Stimme verrät mich. «Er hat keine Ahnung, wer ich bin. Ich bin eine Fremde für ihn.»
«Sicher, aber er wird dich langsam kennenlernen», sagt Henry tröstend. «Gib ihm etwas Zeit, du wirst ihm schon noch zur Mutter. Er ist erst vier; du hast nur drei Jahre verpasst. Und er ist gut erzogen.»
«Er ist Jaspers Junge durch und durch», bricht es eifersüchtig aus mir hervor.
Henry hakt sich bei mir unter. «Und nun machst du ihn zu deinem. Nachdem er meine Männer gesehen hat, zeigst du ihm Arthur und erklärst ihm, dass er einst Owen Tudors Schlachtross war und du ihn jetzt reitest. Du wirst sehen, er wird alles ganz genau wissen wollen, und du kannst ihm Geschichten erzählen.»
***
Als sie ihn bettfertig machen, setzte ich mich im Kinderzimmer still auf einen Stuhl. Die Erste Kinderfrau ist immer noch dieselbe, die Jasper kurz nach der Geburt meines Sohnes in Dienste genommen hat. Sie hat sich seit seiner Geburt um Henry gekümmert, und ich beneide sie um ihren ungezwungenen Umgang mit ihm, um die kameradschaftliche Art, mit der sie ihn auf die Knie hievt und ihm das kleine Hemd auszieht, um die Vertrautheit, mit der sie ihn kitzelt, als sie ihm das Nachthemd über den Kopf zieht, und um ihr vorgetäuschtes Schimpfen, er zappele wie ein Aal aus dem Severn. Die beiden haben ein inniges Verhältnis; doch hin und wieder fällt ihm ein, dass ich ja auch noch da bin, dann wirft er mir ein schüchternes kleines Lächeln zu, wie ein höfliches Kind einer Fremden.
«Möchtet Ihr hören, wie er seine Gebete aufsagt?», fragt sie mich, als er in sein Schlafzimmer geht.
Voller Groll gehe ich hinter ihr her, an zweiter Stelle. Henry kniet am Fuß seines Himmelbettes nieder, faltet die Hände und spricht das Vaterunser und die Abendgebete. Sie reicht mir ein schlecht kopiertes Gebetsbuch, aus dem ich das Kollektengebet vorlese, das er mit einem «Amen» im hellen Sopran abschließt. Dann bekreuzigt er sich, steht auf und geht zu ihr, damit sie ihn segne. Doch sie tritt zurück und bedeutet ihm, dass er vor mir niederknien soll. Seine Mundwinkel verziehen sich nach unten, aber er kniet vor mir nieder, ein gehorsamer kleiner Junge. Ich lege ihm die Hand aufs Haupt und sage: «Gott segne und behüte dich, mein Sohn.» Danach steht er auf, nimmt Anlauf und landet mit einem Hechtsprung auf dem Bett. Er hüpft darauf herum, bis sie die Laken zurückschlägt, ihn darunterbettet und sich, ohne weiter darüber nachzudenken, zu einem Kuss hinunterbeugt.
Verlegen und unsicher, ob ich ihm willkommen bin, eine Fremde in seinem Kinderzimmer, trete ich an seine Bettstatt und beuge mich über ihn. Ich wage einen Kuss. Seine Wange ist warm, und seine Haut – fest wie ein warmer Pfirsich – riecht wie frischgebackene Brötchen.
«Gute Nacht», wiederhole ich.
Ich trete vom Bett zurück. Die Frau stellt die Kerze in einiger Entfernung zu den Bettvorhängen auf und zieht sich einen Stuhl ans Feuer. Sie bleibt bei ihm, bis er eingeschlafen ist, so wie sie es jede Nacht seit seiner Geburt getan hat. Er ist beim Knarren ihres Schaukelstuhls und beim beruhigenden Anblick ihres geliebten Gesichtes im Feuerschein eingeschlafen. Hier gibt es für mich nichts mehr zu tun; er bedarf meiner nicht. «Gute Nacht», verabschiede ich mich ein weiteres Mal und schleiche aus dem Zimmer.
Ich schließe die Tür des Kindertraktes und zögere am Kopf der breiten Steintreppe, die nach unten führt. Ich will mich auf die Suche nach meinem Gemahl machen, da höre ich über mir hoch oben im Turm leise eine Tür aufgehen. Die Tür führt aufs Dach, von dem Jasper früher oft die Sterne betrachtete oder, in schwierigen Zeiten, das Land nach Anzeichen einer feindlichen Armee absuchte. Ist Black Herbert heimlich auf den Turm von Pembroke Castle geklettert? Kommt er mit gezücktem Messer die Treppen heruntergeschlichen, um seine Truppen durch das Ausfalltor einzulassen? Ich
Weitere Kostenlose Bücher