Der Thron der Welt
zu verschlucken. Es gab kaum eine Erhöhung, von der aus man sich einen Überblick über das Gelände verschaffen konnte, und einige Male geriet Wayland versehentlich auf Halbinseln, die unversehens in Morastfeldern oder Sandbänken endeten.
Es war schon Nachmittag, als er die Mündung eines tiefen, träge dahinfließenden Flüsschens erreichte. Er wischte sich den Schweiß von der Stirn. Flussauf zogen sich Schilfbänke, so weit das Auge reichte. In ihrem Schatten stand eine verwahrloste, aus Treibholz und Fellen zusammengeschusterte Hütte. Aus einem Regenfass neben der Hütte löschte Wayland seinen Durst. Dann sah er sich um. Das Rascheln im Schilf erschien ihm wie erbostes Geflüster.
Er trat auf eine Sandbank hinaus und ließ sich von der salzigen Brise umwehen. Das Sonnenlicht schillerte auf dem Wasser wie in Glasscherben. Über seinem Kopf rauschte etwas, und als er aufsah, entdeckte er einen Schwarm Watvögel, die im Kreis flogen und sich dann wieder dicht zusammendrängten, als würde Rauch in ein Abzugsloch zurückgesaugt. Ein Falke stieß hernieder und schwang sich wieder in die Lüfte, blickte über die Schulter und kippte in den nächsten Sturzflug. Erneut wich der Vogelschwarm aus und schloss sich mit sanftem Flügelrauschen neu zusammen. Der Falke suchte eine Stelle, an der er in den Schwarm stoßen konnte, und die Watvögel drehten im Flug ab und änderten ihre Richtung, sodass sie in einem Moment wie eine schwarze Wolke am Himmel standen und im nächsten vor dem gleißenden Meer beinahe unsichtbar wurden.
Dann breitete der Falke die Flügel aus und segelte zu einem gebleichten, hochaufragenden Stück Treibholz hinunter, auf dem er sich putzte und sein Gefieder aufschüttelte, bevor er in niedrigem Flug übers Meer verschwand.
Als sich Wayland umdrehte, stand ein Mädchen vor ihm auf der Wiese. Es hatte langes, blondes Haar, das die Sonne im Gegenlicht aufleuchten ließ. Waylands Eingeweide zogen sich zusammen. Er beschirmte seine Augen und sah, dass der Hund auf das Mädchen zurannte.
«Nein!»
Der Hund blieb überrascht stehen. Unsicher mit dem Schwanz wedelnd, sah er zu Wayland zurück. Wayland hastete zu ihm und hielt ihn fest. Sein Herz raste. Das Mädchen beobachtete ihn mit Augen, die so klar waren wie Wasser.
«Warum siehst du mich so an?», fragte das Mädchen.
Wayland fuhr sich mit der Hand über die Augen. «Es ist nichts. Ich dachte, du wärst … Es ist unwichtig.»
«Das ist der größte Hund, den ich je gesehen habe. Kann ich ihn streicheln?»
«Das würde ich an deiner Stelle nicht tun. Man weiß nie, wie er auf Fremde reagiert.»
Doch da riss sich der Hund los, stellte sich auf die Hinterbeine und legte dem Mädchen die Pfoten auf die Schultern, sodass es rücklings umfiel. Das Mädchen lachte und schob den Hund weg. Er ließ sich auf die Seite rollen und wand sich wie ein Welpe. Das Mädchen kniete sich hin und kitzelte ihn an der Brust. Dann sah es auf und strich sich dabei eine Haarsträhne aus dem Gesicht. In Wayland schien etwas zu zerbrechen.
«Er mag mich.»
«Du erinnerst ihn an jemanden.»
«Wie heißt er?»
«Er hat keinen Namen. Ich bin nie dazu gekommen, einen für ihn auszusuchen.»
«Das ist dumm. Alle Hunde haben einen Namen. Wie die Menschen. Ich heiße Syth. Und du?»
«Wayland.»
«Du redest komisch. Wo wohnst du?»
«Nirgendwo. Ich komme aus Northumbrien.»
«Ist das weit weg?»
«Ja.»
«Ich kenne keinen Ort, der weiter weg ist als Lynn. Außer dem Himmel. Suchst du Snorri?»
«Das kommt darauf an. Hat er ein Schiff?»
«Nein, nur einen kleinen Stechkahn.»
Abgesehen von dem blonden Haar und den großen hellen Augen, hatte das Mädchen kaum Ähnlichkeit mit Waylands Schwester. Syth war so mager, dass er sie beinahe für ein Hungerleiderkind gehalten hätte, doch in Wahrheit konnte sie kaum jünger sein als er selbst. Ihr fadenscheiniges Gewand war am Halsausschnitt eingerissen, sodass eine ihrer blassen schmutzigen Brüste beinahe vollständig entblößt war.
Sie verschränkte die Arme und packte ihre knochigen weißen Schultern mit den Händen. «Du starrst mich dauernd an. Das ist unanständig.»
«Es tut mir leid.»
«Ich verzeihe dir.»
«Was?»
«Ich verzeihe dir.»
Plötzlich wurde er von Trauer überwältigt. «Ich muss gehen», sagte er. «Wo ist der kürzeste Weg nach Lynn?»
Sie antwortete nicht.
«Macht nichts. Ich finde auch so hin.» Er bohrte die Spitze seines Schuhs in die Erde. «Na dann.»
«Ich habe sein Schiff
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