Der Thron von Melengar: Riyria 1 (German Edition)
unruhige Schatten an die Wände. Royce und Hadrian schlüpften hinaus, schlossen leise die Tür hinter sich und gingen schnell etwa fünfzig Fuß weit zu einer zweiflügligen Tür mit goldenen Angeln und einem eisernen Schloss. Royce drückte behutsam die Klinke und schüttelte dann den Kopf. Er kniete sich hin und entnahm seiner Gürteltasche einen kleinen Satz Werkzeuge. Hadrian bezog derweil seine Wachposition. Von hier aus überblickte er sowohl den Flur nach beiden Seiten als auch einen Teil der von rechts kommenden Treppe. Seine Aufgabe war es, mögliche Komplikationen frühzeitig zu bemerken, und prompt kündigten sich auch schon welche an.
Ein Geräusch hallte den Gang entlang: zügige Stiefelschritte auf Stein, die sich näherten. Weiterhin kniend, bearbeitete Royce geduldig das Schloss, während die Schritte immer lauter wurden. Hadrian griff bereits an sein Schwert, doch jetzt hatte der Dieb die Tür endlich aufbekommen. In der Hoffnung, dass in dem Raum niemand sei, schlüpften sie hinein. Royce machte leise die Tür hinter ihnen zu, und die Schritte eilten vorbei, ohne innezuhalten.
Sie waren in der königlichen Kapelle. Ein Meer von Kerzenbrannte auf beiden Seiten des großen Raumes. Zur Mitte hin erhoben sich Marmorsäulen, die ein prächtiges Deckengewölbe trugen. Das Gestühl zu beiden Seiten des Mittelgangs bestand aus jeweils vier hölzernen Kirchenbänken. Die Wände zierten Fünfpassornamente und Blendmaßwerk, wie sie für die Nyphronkirche typisch waren. Hinterm Altar befanden sich Alabasterstatuen von Maribor und Novron. Letzterer, dargestellt als starker, gutaussehender Mann in der Blüte seiner Jahre, kniete, das Schwert in der Hand. Der Gott Maribor, eine überlebensgroße Figur mit langem Bart und wallenden Gewändern, stand vor Novron und setzte dem jungen Mann eine Krone auf. Der Altar selbst war ein hölzerner Schrein mit drei breiten Türen und einer Platte aus rosa Marmor, auf der ein großes Buch mit Goldschnitt aufgeschlagen zwischen zwei weiteren brennenden Kerzen lag.
DeWitt hatte Hadrian erklärt, er habe das Schwert hinterm Altar versteckt, also wandten sie sich dorthin. Als sie zur ersten Bankreihe kamen, erstarrten sie. Dort lag, bäuchlings in einer frischen Blutlache, ein Mann. Aus seinem Rücken ragte der runde Griff eines Dolchs. Während Royce rasch nach Pickerings Schwert suchte, prüfte Hadrian, ob der Mann noch lebte. Er war tot, das Schwert nirgends zu finden. Royce tippte Hadrian auf die Schulter und zeigte auf die goldene Krone, die auf die andere Seite der Säule gerollt war. Schlagartig wurde ihnen der ganze Ernst der Situation bewusst – sie mussten hier weg.
Sie eilten zur Tür. Royce horchte nur kurz, ob auf dem Gang die Luft rein war. Dann schlüpften sie hinaus, schlossen die Tür und schlichen rasch zu dem leer stehenden Zimmer zurück.
»Mörder!«
Der Schrei war so nah und so gellend, dass sie beide mitgezogenen Klingen herumfuhren. Hadrian hielt das Bastardschwert in der einen Hand und das Kurzschwert in der anderen. In Royces Faust glänzte ein Weißstahldolch.
Vor der offenen Tür der Kapelle stand ein bärtiger Zwerg.
»Mörder!« , rief der Zwerg wieder, aber das war eigentlich nicht mehr nötig. Sie hörten bereits hastige Schritte, und im nächsten Moment stürmten Soldaten mit gezogenen Schwertern von beiden Seiten in den Gang.
»Mörder!« Der Zwerg zeigte auf die beiden Diebe und rief: »Sie haben den König getötet!«
Royce drückte die Klinke des unbenutzten Zimmers, aber die Tür ging nicht auf. Er warf sich dagegen – sie rührte sich nicht.
»Waffen fallen lassen, oder wir schlagen euch auf der Stelle nieder!«, befahl einer der Soldaten, ein hochgewachsener Mann, dessen buschiger Schnurrbart sich sträubte, als er grimmig die Kiefer zusammenpresste.
»Was glaubst du, wie viele es sind?«, flüsterte Hadrian. Das Getrampel weiterer Soldaten näherte sich.
»Zu viele«, antwortete Royce.
»Werden gleich wesentlich weniger sein«, versicherte ihm Hadrian.
»Das schaffen wir nicht. Ich kriege die Tür nicht auf. Wir kommen hier nicht raus. Ich glaube, jemand hat die Klinke von innen blockiert. Und wir können es nicht mit der gesamten Schlosswache aufnehmen.«
»Waffen weg!«, brüllte der befehlshabende Soldat, trat einen Schritt näher und erhob gleichzeitig sein Schwert.
»Verdammt.« Hadrian ließ seine Waffen fallen. Royce tat es ihm nach.
»Ergreift sie«, befahl der Soldat.
***
Alric Essendon schreckte von dem
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