Der Thron von Melengar: Riyria 1 (German Edition)
Beabsichtigt ihr immer noch, mich dahin zu bringen, wo sie mich hingebracht haben wollte? Glaubt ihr nicht, dass uns da unterwegs noch weitere Hinterhalte erwarten? Mir scheint mein Tod auf dem Weg dorthin weitaus wahrscheinlicher als sonst irgendwo. Hört zu, es ist mein Leben, also denke ich, dass es mir zusteht, darüber zu entscheiden. Außerdem, was kümmert es euch, ob ich lebe oder sterbe? Ich wollte euch beide zu Tode foltern lassen, wisst ihr noch?«
»Hm.« Royce hielt kurz inne. »Da hat er nicht ganz unrecht.«
»Wir haben es ihr versprochen«, erinnerte ihn Hadrian, »und sie hat uns das Leben gerettet. Das sollten wir nicht vergessen.«
Alric warf die Hände empor und verdrehte die Augen. »Bei Mar! Ihr seid Diebe , oder nicht? Da ist euer Ehrgefühl doch sonst auch nicht gerade übermächtig. Außerdem war sie es auch, die euch in diese Falle geschickt und euer Leben überhaupt erst in Gefahr gebracht hat. Das solltet ihr nicht vergessen!«
Hadrian ignorierte den Prinzen. »Wir wissen nicht, ob sie hinter dem Ganzen steckt. Und wir haben es ihr versprochen.«
»Wirklich? Noch so eine gute Tat?«, fragte Royce. »Ist dir entfallen, was uns die letzte eingebracht hat?«
Hadrian seufzte. »Na endlich! Sonderlich lange brauchtest du es dir ja nun doch nicht aufzusparen, was? Ja, das letzte Mal war eine Katastrophe, aber das heißt nicht, dass ich diesmal unrecht habe. Windermere ist nur – wie weit – zehn Meilen von hier? Bei Einbruch der Dunkelheit können wir dort sein. Lasst uns doch im Kloster Station machen. Mönche müssen verirrten Reisenden helfen, das sagt ihre Lehreoder ihr Kodex oder was auch immer. Etwas zu essen können wir doch wirklich gebrauchen, oder?«
»Vielleicht wissen sie ja auch etwas über das Gefängnis«, spekulierte Royce.
»Welches Gefängnis?«, fragte Alric und stand nervös auf.
»Das Gutaria-Gefängnis – dahin sollen wir Euch bringen, hat Eure Schwester gesagt.«
»Um mich einzusperren?«, fragte der Prinz ängstlich.
»Nein, nein. Sie will, dass Ihr dort mit jemandem redet, einem gewissen … Esra- was noch mal?«
»Haddon, glaube ich«, sagte Hadrian.
»Na, egal. Wisst Ihr etwas über dieses Gefängnis?«
»Nein, nie gehört«, erwiderte Alric. »Klingt aber wie die Art von Ort, wo unerwünschte Prinzen verschwinden, wenn ihre intriganten Schwestern ihnen den Thron rauben.«
Royces Pferd stupste ihn an der Schulter, damit er ihm den Kopf streichelte, während er die Situation auf sich wirken ließ. »Ich bin zu müde, um klar zu denken. Ich glaube nicht, dass irgendjemand von uns im Moment eine wohldurchdachte Entscheidung fällen kann, und bei dem, was auf dem Spiel steht, sollten wir nichts überstürzen. Wir reiten erst einmal bis zum Kloster, reden mit den Mönchen und schauen, was sie uns über das Gefängnis erzählen können. Dann beschließen wir, was wir tun. Klingt nach einem guten Plan?«
Alric seufzte tief. »Wenn ich schon mitmuss, könntet ihr mir dann wenigstens so viel Würde zugestehen, mein Pferd selbst zu lenken?« Als niemand etwas sagte, setzte er hinzu: »Ich gebe euch mein Wort als König: Ich werde auf dem Weg zu diesem Kloster keinen Fluchtversuch unternehmen.«
Hadrian sah Royce an. Der nickte. Dann zog Hadrian die Armbrust von seinem Pferd. Er spannte sie bis zur ersten Raste und legte einen Bolzen ein.
»Nehmt es nicht persönlich«, sagte Royce, während Hadrian die Armbrust schussbereit machte. »Wir haben nur im Lauf der Jahre gelernt, dass Anstand und Ehre bei Adligen gewöhnlich umgekehrt proportional zu ihrem Rang sind. Also bauen wir lieber auf handfestere Beweggründe – wie zum Beispiel den Selbsterhaltungstrieb. Ihr wisst ja, wir wollen nicht, dass Euch etwas passiert, aber wenn man in vollem Galopp dahinfliegt und das Pferd unter einem zusammenbricht, ist der Tod natürlich immer eine Möglichkeit und der eine oder andere Knochenbruch so gut wie sicher.«
»Und natürlich besteht auch die Gefahr, dass der Schuss danebengeht und nicht das Pferd trifft«, setzte Hadrian hinzu. »Ich bin ein guter Schütze, aber auch gute Schützen haben mal einen schlechten Tag. Um also Eure Frage zu beantworten – ja, Ihr dürft Euer Pferd selbst lenken.«
***
Den Rest des Tages ritten sie in gemäßigtem, aber stetem Tempo dahin. Royce führte sie über Wiesen, Hecken- und Waldwege. Sie hielten sich abseits der Straßen und Dörfer, bis da ohnehin keine mehr waren. Selbst die einzelnen Gehöfte blieben aus, als die
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