Der Thron von Melengar: Riyria 1 (German Edition)
drei Reiter allmählich ins wilde Hochland von Melengar kamen. Das Gelände stieg an, der Wald wurde dichter und immer schwerer passierbar. Steilhänge endeten in sumpfigem Schluchtgrund, Hügelflanken in senkrechten Felsabstürzen. Dieses rauhe Land, das westliche Drittel von Melengar, war nicht landwirtschaftlich nutzbar und deshalb unbesiedelt. Es war die Heimat von Wölfen, Elchen, Hirschen, Bären, Gesetzlosen und anderen, die Schutz in der Einsamkeit suchten, wie etwa die Mönche der Winde-Abtei. Kultivierte Menschen scheuten die Gegend ohnehin,und abergläubische Dörf ler fürchteten die dunklen Wälder und hohen Berge. Es gab jede Menge Geschichten von Wassernymphen, die Ritter ins feuchte Grab lockten, von Wolfsmenschen, die die Verirrten zerfleischten, und von uralten bösen Geistern, die als schwebende Lichter im dichten Wald erschienen und Kinder in ihre finsteren unterirdischen Höhlen lockten. Doch von den vielen übernatürlichen Gefahren ganz abgesehen, machten genügend natürliche Widrigkeiten diese Route zu einer, die man besser mied.
Hadrian stellte die Weg- und Richtungsentscheidungen seines Partners kein einziges Mal infrage. Er wusste, warum Royce sich von der Westfeltstraße fernhielt, die klar erkennbar und bequem passierbar am Fluss entlang nach Roe führte. Trotz seiner abgeschiedenen Lage an der Mündung des Galewyr hatte sich Roe von einem verschlafenen kleinen Fischerdorf zu einem geschäftigen Seehafen entwickelt. Und wenn dieser Ort auch Essen, Unterkunft und scheinbare Sicherheit verhieß, so wurde er doch höchstwahrscheinlich überwacht. Die andere einfache Möglichkeit wäre gewesen, der Steenmillstraße nach Norden zu folgen – was Royce vorgetäuscht hatte, indem er so viele Spuren hinterließ, dass jeder Verfolger mutmaßen würde, sie wollten nach Drondilsfeld. Jeder dieser beiden Wege hatte klare Vorzüge, was natürlich auch ihre Jäger wussten. Also mühten und schlugen sie sich jetzt hier durch unwegsames Gelände und folgten dem, was sie an Wildwechseln fanden.
Nach einem besonders mühsamen Stück durch dichten Wald kamen sie überraschend auf einem Bergkamm heraus, wo sie einen herrlichen Blick auf die untergehende Sonne hatten, die das Windermere-Tal in rotgoldenes Licht tauchte und den See erglühen ließ. Der Windermere-See war einer der tiefsten Seen in ganz Avryn. Zu tief für pflanzliches Lebenund Algen, war er nahezu kristallklar. Das Wasser schimmerte in den Einbuchtungen der drei umliegenden Hügel, die es annähernd in die Form eines langgestreckten Dreiecks zwangen. Die Gipfel über der Baumgrenze waren kahl und steinig. Nur auf dem südlichsten der drei Hügel konnte Hadrian ein Steingebäude ausmachen. Außer Roe war die Winde-Abtei weithin das einzige Zeichen von Zivilisation in dieser Gegend.
Die drei ritten ins Tal hinab und hielten auf den Hügel mit dem Steingebäude zu, doch die Dunkelheit brach herein, noch ehe sie die Hälfte der Strecke zurückgelegt hatten. Zum Glück lieferte ihnen ein einsames Licht vom Kloster her die Orientierung. Die nervlichen und körperlichen Strapazen der letzten beiden Tage und die hungerbedingte Schwäche machten sich bemerkbar: Hadrian war todmüde. Er nahm an, dass es Royce nicht besser ging, wenn man es ihm auch weniger ansah. Am schlimmsten schien es dem Prinzen zu ergehen. Er ritt direkt vor Hadrian, und mit jedem Schritt seines Pferds sank er tiefer in sich zusammen, bis er fast aus dem Sattel kippte. Dann riss er sich zusammen, richtete sich auf, und das Ganze begann von neuem.
Trotz des warmen Tages kam mit der Nacht bittere Kälte, und im schwachen Schein des aufgehenden Mondes war der Atem der Männer und Pferde als Dampfwolken sichtbar. Die Sterne funkelten wie am Himmel verstreuter Diamantstaub. Ferne Eulenrufe und das Zirpen von Grillen hallten durchs Tal. Wären die Männer nicht so erschöpft und hungrig gewesen, hätten sie diesen Ritt durch die Nacht vielleicht als schön empfunden. So aber bissen sie nur die Zähne zusammen und konzentrierten sich auf den Weg.
Schließlich erklommen sie den südlichen Hügel: Royce führte sie mit geradezu unheimlicher Sicherheit einen Serpentinenweghinauf, den nur seine scharfen Augen sehen konnten. Die dünnen, abgewetzten Kleider des Leibdienersohns boten kaum Schutz vor der Kälte, und der Prinz zitterte ohnehin schon am ganzen Leib, doch mit zunehmender Höhe wurde es auch zunehmend kälter, und zu allem Überfluss legte auch noch der Wind zu. Die Bäume
Weitere Kostenlose Bücher