Der Thron von Melengar: Riyria 1 (German Edition)
sterben.«
»Aber ich –« Myron sah furchtsam drein. »Das hier ist mein Zuhause. Hier fühle ich mich wohl. Hier sind meine Brüder.«
»Sie sind alle tot«, sagte Alric schonungslos.
Hadrian sah den Prinzen unwirsch an und wandte sich dann wieder an Myron. »Hör zu, es ist Zeit, dass du dein Leben neu in die Hand nimmst. Da draußen gibt es so viel mehr als nur Bücher. Das eine oder andere willst du doch sicher mal kennenlernen. Und außerdem: dein König « – er sagte das Wort mit einer sarkastischen Betonung – »braucht dich.«
Myron seufzte tief, schluckte und nickte schließlich.
***
Tatsächlich hörte der Regen um die Mittagszeit auf. Nachdem sie Myrons Pergamente und alles, was noch an Proviantähnlichem in den Ruinen des Klosters zu finden war, zusammengepackt hatten, waren sie bereit aufzubrechen. Royce, Hadrian und Alric warteten auf den Stufen der Abteikirche, aber Myron kam nicht. Schließlich machte sich Hadrian auf die Suche und fand ihn im zerstörten Klostergarten, der ursprünglich von den Klostergebäuden und dem Kreuzgang umrahmt gewesen war. Jetzt waren dort nur noch rußgeschwärzte Säulen ringsherum und Spuren von Beeten und Sträuchern zu beiden Seiten des aschebedeckten Fußwegs. In der Mitte befand sich eine große steinerne Sonnenuhr auf einem Steinsockel. Hadrian stellte sich vor, wie hübsch dieser geschützte Innenhof vor dem Brand gewesen sein musste.
»Ich habe Angst«, erklärte Myron, als Hadrian bei ihm anlangte. Der Mönch saß auf einer rußgeschwärzten Steinbank, die Ellbogen auf die Knie und das Kinn in die Hände gestützt, und starrte auf den verbrannten Rasen. »Das kommt euch sicher seltsam vor. Aber alles hier ist mir so vertraut. Ich könnte euch sagen, aus wie vielen Mauersteinen dieser Kreuzgang oder das Skriptorium bestand. Ich weiß, wie viele Fensterscheiben das gesamte Kloster hatte und an welchemTag des Jahres die Sonne um welche Tageszeit genau über der Kirche steht. Ich könnte euch erzählen, dass Bruder Ginlin immer mit zwei Gabeln aß, weil er gelobt hatte, nie mehr ein Messer anzufassen. Und dass Bruder Heslon immer als Erster auf war und immer während der Vesper einschlief.«
Myron zeigte zu einem verkohlten Baumstumpf hinüber. »Dort haben Bruder Renian und ich ein Eichhörnchen begraben, als wir zehn waren. In der darauffolgenden Woche begann ein Baum zu sprießen. Im Frühjahr bekam er immer weiße Blüten, und nicht einmal der Abt wusste, was für ein Baum das war. Alle im Kloster nannten ihn nur den Eichhörnchenbaum. Wir glaubten alle an ein Wunder und dachten, das Eichhörnchen sei vielleicht ein Diener Maribors gewesen, weshalb dieser uns jetzt für unsere Freundlichkeit dankte.«
Myron hielt kurz inne und wischte sich mit den Kuttenärmeln übers Gesicht. Er riss den Blick von dem verkohlten Baumstumpf los und sah jetzt wieder Hadrian an. »Ich könnte euch erzählen, dass im Winter der Schnee bis an die Fenster im ersten Stock reichte und wir alle wie Eichhörnchen warm und sicher in unserem gemütlichen Nest saßen. Ich könnte euch erzählen, wie gut jeder von uns in dem war, was er machte. Ginlin machte Wein, so leicht, dass er sich auf der Zunge verflüchtigte und nur ein Wunder an Geschmack hinterließ. Fenitilian machte die wärmsten und weichsten Schuhe, die man sich denken kann. Man konnte damit in den Schnee hinausgehen, ohne es zu merken. Heslons Künste Kochen zu nennen, wäre eine Beleidigung. Er machte dampfende Platten mit Rührei, vermischt mit Käse, Paprika, Zwiebeln und Speck, und das Ganze in einer leichten, würzigen Sahnesauce. Dann folgten Scheiben von süßem Brot – jede mit Zimthonig beträufelt –, Scheiben vongeräuchertem Schweinefleisch, Salifanbratwurst, mit Puderzucker bestreutes Blätterteiggebäck, frische Süßrahmbutter und eine Kanne mit dunklem Pfefferminztee. Und das war nur das Frühstück.«
Myron lächelte mit geschlossenen Augen, im Gesicht einen träumerischen Ausdruck.
»Was hat Renian gemacht?«, fragte Hadrian. »Der, mit dem du das Eichhörnchen begraben hast? Was war sein Spezialgebiet?«
Myron öffnete die Augen, antwortete aber nicht gleich. Er blickte wieder zu dem verkohlten Baumstumpf hinüber und sagte leise: »Renian starb mit zwölf. Am Fieber. Wir haben ihn dort begraben, unter dem Eichhörnchenbaum. Das war sein Lieblingsplatz.« Er atmete etwas zittrig ein. Seine Mundpartie spannte sich. »Seither verging kein Tag, ohne dass ich ihm guten Morgen gesagt habe.
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