Der tibetische Agent: Shan ermitteltRoman (German Edition)
Träne ab. »Er hat mich um Vergebung angefleht, aber ich war nicht dazu bereit.
Erst viele Jahre später habe ich wieder von ihm gehört. Er war Verwalter hiervon und Direktor davon geworden, immer in einem Mönchsgewand, immer bezahlt von den Chinesen. Er teilte mir mit, er und Ugen würden sich Briefe schreiben und dass es seinem Onkel gutginge, dass sein Onkel ihm verziehen habe und ein Mustergefangener geworden sei. Ab da schrieb Jamyang mir alle paar Wochen und berichtete, er würde in diesem oder jenem Kloster leben, die heiligen Schriften nun öfter auf die Weise studieren, die Ugen ihm von dem Tiger-Teppich aus beigebracht hatte, und dass er gehört habe, dass es Ugen gutgehe und man ihn rehabilitiere, was auch immer das heißen sollte. Ich habe nie zurückgeschrieben. Er fing an, Briefe an den Dorfvorsteher zu schicken, um sich zu vergewissern, dass ich noch am Leben war. Und er hat ihm Geschenke für mich geschickt. Kleine chinesische Kuchen und Tee. Ich sagte dem Dorfvorsteher, er könneden Tee behalten. Die Kuchen habe ich an die Schweine verfüttert.«
Lesha hielt inne und schaute zu Dakpo. Ihr Patient war wach und hörte aufmerksam zu. Bevor sie fortfuhr, legte sie ihm ein Kissen unter, damit er sich aufrichten und Tee trinken konnte. »Dann stand mein Neffe vor ein paar Monaten auf einmal hier in der Tür. Er trug das Gewand eines Lamas und darunter einen Geschäftsanzug mit Krawatte. Er sagte, er sei unterwegs zu einem neuen Auftrag und habe den Fahrer gebeten, einen Umweg hierher zu machen. Im Dorf stand ein großes schwarzes Auto und wartete auf ihn.
Ich habe mit ihm zu Mittag gegessen. Dann sind wir hoch auf die Weiden gegangen. Er wollte mir ein großes Geheimnis verraten. Er sagte, er habe schon vor zwei Jahren dafür gesorgt, dass Ugen nur noch leichte Hilfsdienste verrichten müsse. Und es sei ihm gelungen, eine Vereinbarung bezüglich seiner Freilassung zu erreichen: Falls Jamyang seinen neuen Auftrag erfolgreich abschließe, würde sein Onkel endlich heimkehren können. Er hat mir Briefe von Ugen gezeigt, verfasst in chinesischer Sprache, die bewiesen, dass er bei guter Gesundheit und zufrieden sei. Dann hat er sich über mich aufgeregt und mich gefragt, wieso diese Neuigkeiten mich nicht freuen würden. Ich habe ihn hierher zu dem Altar gebracht«, sagte sie mit einem Nicken in Richtung des bronzenen Buddhas. »Und ich sagte zu ihm, ich würde mich vor den Buddha setzen, damit er wisse, dass meine Worte wahr seien. Ich erklärte ihm, dass Ugen kein Chinesisch gesprochen hat, und schreiben konnte er es schon gar nicht. Dann habe ich ihm das gau gegeben, das ihr dort auf dem Altar liegen seht, und ihm gesagt, er solle es sich genau anschauen.
Er hat es angestarrt, als wäre ihm ein Gespenst begegnet. Und dann sagte ich ihm die Wahrheit, denn er wusste, dass das gau seit Jahrhunderten in unserer Familie weitergegebenwurde und zuletzt Ugen gehört hatte. Es war mir sechs Jahre zuvor zugeschickt worden, nachdem Ugen sich im Lager das Leben genommen hatte.
Jamyang starrte und starrte das gau an. Dann schließlich drückte er es sich an die Stirn und weinte. Ich gab ihm Tee. Er wollte nicht mit mir sprechen. Er hielt nur das gau und starrte es an. Seine Hände haben wie die eines alten Mannes gezittert.
Dann hat dieses Auto gehupt und ihn gerufen. Der andere, sein Begleiter, wurde ungeduldig, stand neben dem Fahrer am Fenster und drückte auf die Hupe.«
»Der andere?«, fragte Dakpo leise.
»Ein anderer Mann mit einem Mönchgewand über einem Anzug, sehr groß. Er hatte etwas bei sich, das wie eine silberne Glocke ausgesehen hat. Die beiden wurden herumgefahren, als wären sie chinesische Fürsten.«
Dakpo stöhnte qualvoll auf und sackte in sich zusammen. Lesha half ihm, sich wieder hinzulegen.
Shan musterte Dakpo verwirrt und bat dann Jigten, den Lastwagen zu holen. Der junge Mönch musste zurück zu seinem Bett in Chegar gompa, wo man sich gut um ihn kümmern würde.
»Dein Fuß«, sagte Lesha zu Shan. »Zieh dein Hosenbein hoch.«
Die Tibeterin murmelte etwas, und der große Hund trat vor. Shan zwang sich, nicht zu reagieren, als das Tier seinen Knöchel beschnupperte. »Er entschuldigt sich dafür, dass er dich gebissen hat«, sagte Lesha und gluckste dann auf, als sie die Bisswunde sah. »Der alte Narr hat Honig aufgetragen, nicht wahr?« Sie gab dem Mastiff einen Wink, und er leckte den Honig weg. Dann nahm sie eines ihrer hölzernen Gefäße und strich etwas Salbe auf die
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