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Der tibetische Agent: Shan ermitteltRoman (German Edition)

Der tibetische Agent: Shan ermitteltRoman (German Edition)

Titel: Der tibetische Agent: Shan ermitteltRoman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eliot Pattison
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Lager des Reinen Wassers sei eine der neuen Umsiedlungseinrichtungen, hatte Lokesh berichtet, nachdem er einigen der Bewohner begegnet war, die nach essbaren Wurzeln gruben. Die Regierung verabscheute die Nomaden der Changtang, der hohen wilden Grasebene, die sich über den größten Teil von Zentraltibet erstreckte, denn die Menschen waren inmitten der endlosen Weiten kaum ausfindig zu machen und erst recht nicht zu kontrollieren. Und sie waren, so hatten Untersuchungen der Behörden ergeben, Brutstättender tibetischen Tradition. Einrichtungen wie das Reine Wasser waren als Übergangslösung gedacht, als vorübergehender Aufenthaltsort, um die Tibeter an Lebensweisen zu gewöhnen, die mehr auf der Linie der sozialistischen Sache lagen.
    Als sein Pick-up die Hügelkuppe erreichte, keuchte Shan unwillkürlich auf. Er hielt an, mit beiden Händen am Lenkrad. Er war über die Changtang gereist und hatte sich mit einigen der lebensfrohen und unkonventionellen Nomaden angefreundet, deren Clans schon seit Hunderten, wenn nicht gar Tausenden von Jahren in dieser Wildnis lebten. Nun hatte man sie eingepfercht wie eine Herde Schafe. Vor ihm erstreckten sich Reihen von identischen, kleinen, quadratischen Häusern, alle mit den gleichen Wellblechdächern und Metalltüren, dem gleichen einzelnen Fenster und stählernen Rauchabzug.
    Als er an der Einfahrt aus seinem Wagen stieg, kam ein dicker Chinese aus einem langen Betonziegelbau gelaufen, der anscheinend als Verwaltungsgebäude des Lagers diente.
    Er begrüßte Shan wie einen langersehnten Gast. »Genosse! Willkommen im Umsiedlungslager des Reinen Wassers!« Er hielt inne und warf einen Blick auf Shans Pick-up, der weit genug weg stand, dass man das verblichene Behördenemblem noch erkennen konnte, aber nicht mehr die Worte, die darunter standen. »Wie darf ich Ihnen behilflich sein?«
    »Ich sehe mich nur schnell mal um«, sagte Shan und bedachte den Mann mit einem strengen Blick. »Wie hoch ist die Belegung?«
    »Wir beherbergen derzeit einhundertsiebenundzwanzig Bürger, hätten aber noch Platz für Dutzende mehr. Einer der großen Erfolge der Neuverteilung.«
    »Erfolge?«, fragte Shan.
    »Natürlich. Wir stellen eine medizinische Versorgung bereit, ein trockenes Schlafquartier und zwei Mahlzeiten proTag. Demnächst auch Schullehrer. Diesen Bürgern stand zuvor nichts davon zur Verfügung. Sechzig Prozent haben bereits chinesische Namen angenommen, wodurch sie das Anrecht auf einen Stromanschluss erwerben. Daher sind die Haushalte reformierter Nomaden in beispielloser Menge elektrifiziert. Fast die Hälfte nimmt die Module über chinesische Geschichte an, die Peking geschickt hat. Das sind sehr ermutigende Statistiken. Wir verteilen gerade neues Bettzeug.« Er wies auf einen Haufen schäbiger Laken neben der Tür zu seinem Büro. »Historische Durchbrüche.«
    Shan sah die leeren Blicke der tibetischen Männer und Frauen, die vor den kleinen Hütten saßen. Die ermutigenden Statistiken.
    »Wo arbeiten diese Leute?«
    »Das brauchen sie nicht. Für sie wird gesorgt. In ein paar Monaten wird man ihnen Anstellungen zuweisen, nachdem sie meine Abschlussklasse bestanden haben«, erklärte der Verwalter und grinste selbstgefällig. »Einige kümmern sich um ein paar Schafe. Aber das sind eher Haustiere.« Der Mann deutete auf das Verwaltungsgebäude, dessen verputzte Wand von einem Gemälde geziert wurde, das tatkräftige Fabrikarbeiter zeigte. »Ich habe die Zahlen, falls Sie einen Blick darauf werfen möchten. Wir liegen über unseren Quoten. Die besten Leistungswerte in der gesamten Präfektur.«
    Shan kämpfte gegen ein Schaudern an. »Ich schätze, ich sehe mich lieber selbst um«, sagte er.
    »Lassen Sie mich nur schnell die Tür abschließen«, sagte der Verwalter.
    »Allein.«
    »Für gewöhnlich lasse ich niemanden …«
    »Soll ich Oberst Tan mitteilen, dass Sie meine Arbeit erschweren?«
    Der Mann wich zurück und warf einen nervösen Blick dieStraße hinauf. Dann verschwand er wieder in seinem Gebäude.
    Keiner der verschleppten Hirten sah Shan an, als dieser die erste der schmalen Straßen hinunterging. Die kleinen Fertigbauten, jeweils von den Ausmaßen einer bescheidenen Garage, bestanden aus Metallrahmen mit eingesetzten Sperrholzplatten. Nur aus einer Handvoll der metallenen Schornsteine stieg Rauch empor. Mehrere der Bewohner kochten auf kleinen Kohlenpfannen am Eingang. Zwischen den Häusern baumelten Stromleitungen. Aus einem langen, flachen Gebäude am

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