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Der tibetische Agent: Shan ermitteltRoman (German Edition)

Der tibetische Agent: Shan ermitteltRoman (German Edition)

Titel: Der tibetische Agent: Shan ermitteltRoman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eliot Pattison
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Zufahrtsstraße war ein Wächter postiert, offenbar bewaffnet mit einer Heugabel. Der kleine steinerne Stall oberhalb des Hauses hatte etwas Neues an sich, nämlich eine einzelne Gebetsfahne, die auf seinem Dach flatterte. Der kleine Getreidespeicher, den Shan teilweise demontiert gesehen hatte, war inzwischen vollständig verschwunden. Aus dem so gewonnenen Holz hatte man ein Gestell aus gekreuzten Brettern errichtet, von dem nun der Rauch aufstieg. Rund um das lodernde Feuer stand mindestens ein halbes Dutzend Gestalten. Die Jadekrähen verbrannten den Leichnam ihres Anführers.
    * * *
    Die Sonne stand tief am Horizont, als sie die lange Grasebene erreichten, die sich über die Grenze zweier Bezirke erstreckte. Shan warf unbehaglich einen Blick in den Rückspiegel. Der Grat des Gebirgskamms über ihnen war die Linie, jenseits derer der dürftige Schutz, den Shan genoss, sich verflüchtigte. Auf der anderen Seite würde er bloß ein ehemaliger Sträfling ohne Reisepapiere sein.
    Chenmo hatte seit längerer Zeit nichts mehr gesagt. Sie zeigte einfach nach vorn zu der Gratlinie in etwa dreieinhalb Kilometern Entfernung.
    Sie hatten den Kamm fast erklommen, als Chenmo Shan bedeutete, er möge anhalten. Die Novizin sprang aus dem Wagen und lief den Hang hinauf. Als Shan sie einholte, stand sie auf einem Sims, von dem aus man die weite Ebene hinter ihnen überblicken konnte, und hielt furchtsam Ausschau. Dabei presste sie sich eine Faust gegen den Mund, als wolle sie einen Schrei unterdrücken. Ein eisiger Schauder kroch Shans Rückgrat herauf. Wovor hatte sie solche Angst?
    »Wir sind schnell aufgestiegen, anfangs auf der Straße«, erklärte sie plötzlich. Sie deutete auf das Ende der Ebene, wo das Gelände steil zu weiteren Felshängen anstieg. »Kurz vor dem Pfad, der ins Hochland führt, haben wir sie gesehen. Sie rannten auf uns zu. Es blieb keine Zeit, um zu überlegen.«
    Shans Mund wurde trocken. »Du meinst Soldaten.«
    Chenmo zuckte die Achseln. »Sie hatten Uniformen und Waffen. Und wir hatten so wenig Zeit. Onkel Lokesh sagte, die Äbtissin müsse entkommen. Drei von uns sind mit dem Pferd den Pfad hinaufgelaufen. Als Lokesh ins Freie rannte, um die Soldaten abzulenken, ist die Amerikanerin ihm gefolgt und hat ihn sogar überholt, als wolle sie ihm helfen. Cora war stark und sehr schnell, zu schnell. Sie ist gestürzt. Onkel Lokesh lief zu ihr und Ani Ama zu den beiden. Sie wollten Cora wegtragen, aber die Soldaten haben sie eingeholt. Wir habenvon oben aus zugesehen. Als sie weg waren, wurde ich zurückgeschickt, um die Einsiedelei zu verständigen.«
    Shan sank auf einem Felsen zusammen und barg kurz sein Gesicht in den Händen. »Das verstehe ich nicht«, sagte er dann und blickte auf. »Woher sind die Soldaten gekommen? Wohin sind sie gegangen? Hatten sie Fahrzeuge? Einen Hubschrauber? Was hast du noch gesehen? Ich muss herausfinden, wohin man sie gebracht hat.«
    »Aber das weiß ich. Ich habe sie beobachtet und bin ihnen gefolgt. Ich hatte es schon zuvor mit Cora und Rutger gesehen.«
    Shan konnte sich keinen Reim darauf machen. Die Frau raffte ihr Gewand und fing an, den kurzen Rest des steilen Hangs hinaufzuklettern. Erst kurz vor der Kammlinie holte er sie ein.
    »Die Chinesen glauben, niemand kenne ihre Geheimnisse«, verkündete sie. »Als wären wir alle blind. Rutger und Cora wollten, dass alle glauben, sie wären gekommen, um den Wiederaufbau des Klosters zu filmen, aber in Wahrheit wollten sie den Chinesen mit Hilfe ihrer Kameras beweisen, dass eben nicht alle blind sind. Ich habe ihnen manchmal geholfen, und sie ließen mich durch ihre langen Objektive schauen. Alte Männer und Frauen, die mit Stöcken geschlagen werden. Mönche, die man an Pfähle fesselt und ungeschützt draußen lässt, sogar im Sturm. Letzten Monat haben sie die ersten Gräber ausgehoben.« Sie biss sich wieder auf die Lippe und blickte zurück auf die Ebene. »Meine Mutter hat mir von einer Hölle erzählt, in der Menschen in Tiere verwandelt wurden. Das hier ist sie.« Sie erreichte den Grat und wies in das abgelegene Tal unter ihnen.
    Der Anblick traf Shan wie ein Fausthieb. Stöhnend fiel er auf die Knie.
    Der Gebäudekomplex lag weniger als anderthalb Kilometer entfernt, ein ausgedehntes Labyrinth aus primitiven Baracken,umgeben von Stacheldraht und niedrigen Türmen, die zweifellos mit Maschinengewehren ausgestattet waren.
    Als das taube Gefühl nachließ, verspürte Shan nur noch den verzweifelten,

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