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Der tibetische Agent: Shan ermitteltRoman (German Edition)

Der tibetische Agent: Shan ermitteltRoman (German Edition)

Titel: Der tibetische Agent: Shan ermitteltRoman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eliot Pattison
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erklärte Shan. »Der Buddha erwartet so etwas nicht.«
    »Mein Bruder hat gesagt, er habe davon geträumt, mit unserer Mutter in den Tempel zu gehen«, fuhr Lung fort. »Er sagte, es sei vielleicht ein Fehler von uns gewesen, die Götter zu ignorieren, nachdem sie gestorben war. Und womöglich sei es auch falsch gewesen, all diese Tibeter in den Hügeln zu schikanieren, nur weil die Polizei das so wollte, hat er gesagt. Er sagte, unsere Mutter habe ihn davor gewarnt, sich mit Dämonen einzulassen.«
    »Du meinst, er hat den Tod seines Sohnes für eine Art Bestrafung gehalten.«
    »Ich sagte zu ihm, es sei ein Verkehrsunfall gewesen und unsere Vereinbarungen mit der Polizei würden bloß ein gutes Geschäft darstellen. Die Jadekrähen hätten schon immerdas Beste aus ihrer Situation gemacht, nur deshalb hätten wir überlebt. Aber er wollte davon nichts hören. Er sagte, er hätte die alte Nonne viel zu spät um Hilfe gebeten und hätte das schon viel früher machen sollen.«
    Shan hielt inne. »Warst du hier, als sie gekommen ist?«
    »Beim ersten Mal ist sie mit einer anderen Nonne hier hereinspaziert, einfach die Treppe hinauf, während wir am Tisch gesessen und Mah-Jongg gespielt haben. Sie hat verlangt, dass wir aufhören sollten, die Bauernhöfe zu überfallen. Mein Bruder hat dafür gesorgt, dass ihr kein Haar gekrümmt wurde, und hat den anderen sogar verboten, sie auszulachen. Aber er hat keine Zugeständnisse gemacht. Als mein Neffe starb, schien er alles noch mal zu überdenken. Lung Wi war ein guter Junge, sehr klug, sehr lebhaft. Er hat viel gelacht. Mein Bruder hat sich hingebungsvoll um ihn gekümmert. Falls wir in Yunnan geblieben wären, wären manche von uns vielleicht um eine Haftstrafe herumgekommen, aber mein Bruder hätte sich niemals von seinem Sohn getrennt. Die anderen wissen nichts davon, aber das ist der Grund, aus dem wir hergekommen sind: damit mein Bruder und sein Sohn zusammenbleiben konnten.
    Als der Leichnam des Jungen zurückgebracht wurde, hat er geweint. Das war das einzige Mal, dass ich ihn je weinen gesehen habe. Er hat eine alte Schachtel mit Sachen unserer Mutter hervorgeholt und lange mit ihnen dagesessen. Dann hat er sie genommen und rund um seinen toten Sohn gelegt. Nachdem er dort zwei Stunden schweigend gesessen hatte, ist er ohne ein Wort weggegangen. Als er zurückkam, war diese alte Nonne bei ihm. Sie haben den Körper des Jungen gewaschen und gemeinsam Worte gesprochen.«
    »Dein Bruder und die Äbtissin?«
    Lung schüttelte den Kopf. »Die Äbtissin und diese andere, ältere Nonne. Der Mönch auch, aber die Äbtissin hatte das Sagen.«
    »Ein Mönch? Wie war sein Name?«
    »Dieser Jamyang.«
    »Der hochgewachsene Lama mit dem roten Punkt am Unterkiefer?«
    Als Lung nickte, fiel Shan ein, dass der Mann Jamyangs Namen schon bei Shans erstem Besuch erwähnt hatte. »Er war nicht so gut wie die Nonnen«, fügte der Bandenführer hinzu.
    »Wie meinst du das?«
    »Er hat Sachen unterbrochen, hat die Gebete gestoppt. Er ist rausgelaufen, als könne er es nicht ertragen, bei dem Toten zu sein. Was nutzt ein Mönch, der Angst vor dem Tod hat?«
    Shan starrte ihn verwirrt an. »Wohin war der Junge unterwegs, als er gestorben ist?«
    »In einer geschäftlichen Angelegenheit der Jadekrähen«, war Lungs einzige Antwort. Er wandte sich wieder dem Altar zu. »Hast du noch mehr von diesem Weihrauch?«
    Shan ließ sich vor dem Altar nieder und reichte Lung gedankenverloren sein letztes Weihrauchstäbchen. Der Bandenführer entzündete es und betrachtete mit geneigtem Kopf den kleinen Buddha in der exotischen Tracht, als würde er sich fragen, wie man mit ihm sprechen könnte. Die letzten Sonnenstrahlen fielen zur Türöffnung herein und hüllten den Altar in einen goldenen Schimmer.
    Shan griff in die Tasche und zog das gefaltete Stück Papier heraus, das er in Lung Mas Holster gefunden hatte. »Das ist, wonach du gesucht hast. Ich habe es vom Leichnam deines Bruders mitgenommen.«
    Lung Tso schien es im ersten Moment nicht zu hören, dann drehte er sich langsam um und griff nach dem Zettel. Während er las, legte seine Stirn sich verwirrt in Falten. Er sah Shan an und bedeutete ihm, sich den kleinen Buddhas zu nähern. »Meine Mutter hat gesagt, im Angesicht der Götter kann kein Mensch lügen. War das hier alles, was du genommen hast?«
    »Ich schwöre es. Dies waren die Worte, die ihn an jenem Tag zu dem Kloster gebracht haben.«
    »Bloß Daten und Städte?«
    »Bestimmte Daten.

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