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Der tibetische Agent: Shan ermitteltRoman (German Edition)

Der tibetische Agent: Shan ermitteltRoman (German Edition)

Titel: Der tibetische Agent: Shan ermitteltRoman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eliot Pattison
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blickte in die Schatten der Zelle. »Ich habe einen Sohn namens Ko«, erklärte er nach einemlangen Moment. »Er ist mein einziges Fleisch und Blut. Von seiner Strafe sind noch knapp zehn Jahre übrig. Ehemalige Insassen dürfen sich normalerweise nicht dort aufhalten, aber Tan und ich haben eine Vereinbarung. Ich darf Ko am ersten Sonntag eines jeden Monats besuchen und ihm einmal im Monat einen Brief schreiben.«
    In der langen Stille, die folgte, konnten sie das Blöken der Schafe von dem Gehege am Marktplatz hören.
    Er drehte sich zu ihr um. »Ein Freund von mir sitzt in diesem neuen Lager. Er heißt Lokesh.«
    »Man zieht in Erwägung, ein Besuchsprogramm einzurichten.«
    »Wie bald?«
    Sie zuckte die Achseln. »In ein paar Monaten. Bis zum Ende des Jahres, sofern die Tibeter sich ruhig verhalten. Letzte Nacht haben sie wieder dieses verdammte Horn geblasen. Jemand hat bei einer der Kreuzungen ein Freudenfeuer aus chinesischen Straßenschildern entzündet. Und in Sichuan hat sich ein weiterer Mönch verbrannt.«
    »Und falls sie keine Ruhe geben?«
    Meng zuckte abermals die Achseln. »Dann wird man weitere sechs dieser Lager errichten. Es gibt eine neue Verfahrensweise. Für jeden Tibeter, der bei einem Streik oder einer Protestaktion festgenommen wird, landen auch zwei seiner Angehörigen in Haft.«
    Shan ließ sich auf einen Stuhl vor Mengs Schreibtisch fallen. »Ich muss da rein, Leutnant. Ich habe auf der Welt nur noch meinen Sohn und diesen alten Tibeter in dem Lager. Bitte.«
    Meng wurde wieder still. Shan empfand ihre nachdenkliche Miene als irgendwie beunruhigend. »Sie können sich glücklich schätzen, einen Sohn zu haben«, sagte sie dann. »Mir war nie ein Kind vergönnt.«
    Zu der Stimmung zwischen ihnen gesellte sich ein merkwürdiger Hauch von Verlegenheit.
    »Ich glaube, es hat mir besser gefallen, dass Sie mich für einen Dummkopf gehalten haben. Verhaften Sie mich«, drängte Shan.
    »Das Lager untersteht der Bewaffneten Volkspolizei. Die könnten es einrichten, dass Sie sich für ein paar Stunden hineinschleichen.«
    »Niemals. Die Gefangenen würden einen Spitzel sofort riechen.«
    Meng sah ihn an und dann weg, mehrmals hintereinander, als wüsste sie nicht, wie sie reagieren sollte. Schließlich sah sie aus dem Fenster. »Ich war schon mal da. Es ist kein Zwangsarbeitslager, aber die Insassen werden wie Vieh behandelt. Es gibt erste Typhusfälle. Als ich dort herumgeführt wurde, hat gerade ein Traktor hinter dem Lager einen breiten Graben gezogen. Die Wachen haben gelacht, als ich fragte, ob das das Fundament eines neuen Gebäudes sein würde, und dann wieder, als man die ersten Leichen hineingeworfen hat. Sie sagten, sie würden das beste Lager in Tibet leiten, denn bei ihnen sei die Befriedung von Dauer.«
    Sie sind eine Offizierin der Öffentlichen Sicherheit , hätte Shan beinahe erwidert. Tun Sie nicht so, als mache Ihnen das etwas aus . Doch dann sah er, dass sie sich auf die Lippe biss. Es gab Momente, in denen Meng einfach nur wie ein normales Mädchen wirkte, das hilflos in dem bitteren Meer Chinas umhertrieb.
    »Meng, ich weiß, wie man an solchen Orten überlebt. Ich spreche Tibetisch.«
    Als sie nichts entgegnete, schob er den Ärmel hoch und hielt ihr seinen Unterarm hin. Sie starrte die Registrierungsnummer an.
    »Die stechen dabei mit der Nadel tief ein«, sagte er leise. »Und die Nadel ist glühend heiß, um verletzte Blutgefäßegleich zu veröden. Ich wollte schreien, aber ich war der einzige chinesische Häftling und dachte, ich sollte ein gutes Beispiel abgeben.«
    Sie schaute wieder zum Fenster hinaus, als wolle sie ihm nicht zuhören.
    »Ich wurde nicht als Informant eingeschleust, Meng. Ich bin bei einer Ermittlung zu weit gegangen, bis in die höchsten Ränge der Partei. Einige Minister in Peking wollten mich lebendig begraben. Sie haben mich in das Lager mit der höchsten Sterberate von ganz China geschickt. Doch ich habe überlebt, dank Lokesh und anderen wie ihm. Fünf Jahre, Meng. Ich war fünf Jahre drin. Ich kenne die Krankheiten. Ich habe dabei geholfen, Massengräber auszuheben.«
    Als sie ihn ansah, hatten ihre Züge sich verhärtet. »Ist Ihnen eigentlich klar, wie viele Behörden es gibt, die Geheimagenten im Einsatz haben?«, fragte sie. »Mindestens zwölf sind weithin bekannt, und das ist allenfalls die Hälfte. Agenten bauen ihre Tarnung über Jahre hinweg auf. Es gibt sogar Schulen, in denen man ihnen das beibringt. Sie brechen alle Kontakte zu

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