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Der tibetische Agent: Shan ermitteltRoman (German Edition)

Der tibetische Agent: Shan ermitteltRoman (German Edition)

Titel: Der tibetische Agent: Shan ermitteltRoman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eliot Pattison
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während ein Mönch und dann noch einer den Besuch bei den Kriechern absolvierte, das Gebäude ohne ein Wort zu den anderen Wartenden verließ und mit ängstlich angespannter Miene nur noch starr geradeaus blickte. Viele solcher Kriechertrupps hatten Quoten zu erfüllen und fanden daher stets jemanden, der bestraft werden musste. Jeder der Mönche hielt zerfledderte Papiere in der Hand. Diese Verhöre fingen immer damit an, dass ein Kriecher genauestens die Ausweiskarten und Registrierungen des Büros für Religiöse Angelegenheiten prüfte und bisweilen jeden einzelnen Eintrag hinterfragte.
    Shan sah die verzweifelten Gesichter all jener, die noch auf der Bank warteten. Manche von ihnen waren junge Novizen,aber die meisten waren alt genug, um zu wissen, was eine so strikte Überwachung zu bedeuten hatte: Das gompa befand sich in großer Gefahr. Ein paar hastige Unterschriften des Büros für Religiöse Angelegenheiten und der Öffentlichen Sicherheit würden genügen, und all ihre hoffnungsvollen Gebete, das ehrfürchtige Auswendiglernen vieler Tausend Zeilen heiliger Schriften, alle Flammen ihrer Opferlampen wären ausgelöscht. Man würde die Klostergebäude mit Vorhängeschlössern sichern, und dann würde es hier keine Gebete mehr geben, nie wieder.
    Ein heller klarer Ton hallte plötzlich durch die Stille. Der Mönch, der soeben seine Befragung überstanden hatte, beschleunigte den Schritt. Ein weiterer Ton ließ Mönche aus mehreren der Klostergebäude treten. An einer der inneren Türen stand ein Mönch und läutete eine Zeremonienglocke. Einige Dorfbewohner eilten zu den Eimern neben ihren Hauseingängen und wuschen sich Hände und Gesichter. Nur die Mönche auf der Bank rührten sich nicht.
    Der alte Mann erhob sich auf zitternden Beinen und stützte sich auf seinen Stock. Shan zog sich den Hut tief in die Stirn, lief hinaus und erreichte den Mann noch rechtzeitig, um ihn zu stützen, als er über einen Stein stolperte.
    Der Blinde drehte nur leicht den Kopf und zögerte. »Du bist ein Fremder«, stellte er mit neutraler Stimme fest.
    »Gestatte einem armen Pilger, sich Verdienste zu erwerben, Großvater«, entgegnete Shan und fasste den Mann sanft am Ellbogen, um ihn zu führen.
    Der Mann seufzte und nickte dann. »Meine Nichte ist auf der Weide, sonst würde sie mir helfen. Vielleicht ist es besser so, wenn diese Geier im Dorf sind.«
    » Lha gyal lo «, sagte Shan.
    Der kleine Tempel wurde nur von den flackernden Butterlampen entlang des Altars erhellt. Weihrauchschwaden kräuseltensich um einen schlichten bronzenen Buddha. Vor dem Altar las ein Mönch, dessen Stimme so dünn wie der Rauch war, aus einer Schrift vor, während Abt Norbu schweigend neben ihm stand. Die versammelten Mönche und Dörfler murmelten die Antworten, und nach der Lesung leitete Norbu sie bei einem langen Mantra an. Die Worte wurden anfangs nur leise gesprochen, in dem Flüsterton, den Shan von solchen Zeremonien gewohnt war, doch dann hob der Blinde neben ihm zu seiner Überraschung den gesenkten Kopf und unterbrach die anderen, richtete ein neues, lauteres Mantra zur Decke des Raumes. Verwirrt sah Shan, dass die anderen innehielten und sich dann dem Blinden anschlossen. Als die Lautstärke stieg und einen beinahe herausfordernden Ton annahm, stand einer der Mönche auf und verriegelte die Tür. Norbu warf einen nervösen Blick zum Eingang, schob dann eine dunkle Filzdecke beiseite, die vom Altar hing, und streckte den Arm in den Schatten dahinter. Er holte eine verzierte Silberglocke hervor, um deren Griff sich elegant ein Drache wand. Ein erregter Schauder durchfuhr die versammelten Mönche, denn Norbu bückte sich erneut und brachte eine weitere Gottheit zum Vorschein, die er neben den Buddha stellte. Es war das morbide, furchterregende Abbild eines stierköpfigen Gottes, der abgezogene Menschenhäute und Schädel hielt und zu den grimmigsten Schutzdämonen zählte. Norbu holte hinter dem Altar ein Stück Stoff hervor und legte es der Statue um die Schultern. Es war die Flagge des freien Tibet.
    Shan drehte sich besorgt zu der verriegelten Tür um. Die Kriecher da draußen würden nicht nur fuchsteufelswild werden, falls sie von der Zeremonie erfuhren, sie würden sie sofort gewaltsam beenden und alle Verantwortlichen festnehmen.
    Norbu stimmte nun ebenfalls in das Mantra ein, aber nicht als dessen Leiter. Er ging in den hinteren Teil der kleinen Halleauf die andere Seite des Blinden, ließ sich wie die anderen Gläubigen auf

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