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Der tibetische Agent: Shan ermitteltRoman (German Edition)

Der tibetische Agent: Shan ermitteltRoman (German Edition)

Titel: Der tibetische Agent: Shan ermitteltRoman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eliot Pattison
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begehen keinen Selbstmord«, wiederholte Shan. Er sah Lung unverwandt an, während er den gefalteten Zettel aus der Tasche zog. »Als Jamyang deinem Bruder diese Liste gegeben hat, lagen zwei der Daten noch in der Zukunft. Eines war letzte Woche. Was ist passiert, als ihr letzte Woche über die Grenze gefahren seid?«
    »Nichts.«
    »Die müssen die Papiere kontrollieren und Stichproben der Lieferung überprüfen.«
    »Die haben die Papiere gestempelt und die Lieferung durchgewinkt.«
    »Weil ihr sie bestochen habt.«
    Lung sagte nichts.
    »Ich muss wissen, was ihr für die Mönche macht, Lung.«
    »Das Gleiche, was wir immer machen.«
    Shan beugte sich vor. »Was genau schmuggeln die?«
    »Kisten. Es gehört sich nicht, die Ladung eines Kunden zu öffnen.«
    »Wie groß? Was haben die Mönche dir erzählt?«
    »Die Mönche kommen zwar auch zu den Treffen, aber das Reden übernehmen die Tibeter von der anderen Seite.«
    » Purbas ?«
    Lung zuckte die Achseln. »Ich kenne die tibetische Bezeichnung für Geächtete nicht. Sie nutzen normalerweisedie Hochgebirgspässe, aber die Armee hat dort ihre Überwachungsmaßnahmen verschärft. Sie wollten einen Testlauf für eine neue Route. Und der hat letzte Woche stattgefunden.«
    »Testlauf?«
    »Zwei große Kisten.«
    »Wie lang?«
    »Groß genug für einen kleinen Schrank. Ich schätze, die haben Altäre und anderes Zeug, das sie vor Peking beschützen wollen.«
    »Haben sie schon etwas über die nächste Lieferung gesagt? Soll die genauso aussehen?«
    »Ja, allerdings.«
    Shan nickte langsam. »Wie gesagt, ich benötige einen Gefallen.«
    Der Anführer der Jadekrähen runzelte die Stirn und ging in eines der Nebengebäude. Wenig später kam Dschingis daraus zum Vorschein und schob ein Motorrad. Lung kehrte zurück, stellte sich neben Shan und schaute wortlos hinaus auf die ehemaligen Gerstenfelder. »Falls du den Scheißkerl nicht findest, der meinen Bruder ermordet hat, werden die Jadekrähen das übernehmen«, sagte er dann, ohne Shan anzusehen. »Wir knöpfen uns das gesamte Kloster vor, Mönch für Mönch. Und wir werden uns nicht lange mit Höflichkeiten aufhalten.«
    ***
    Chegar gompa war ein kleiner, nervöser Schatten seines früheren Selbst. Es war für mindestens zweihundert Mönche errichtet worden, doch während Shan es nun von den oberhalb gelegenen Felsen aus beobachtete, schätzte er die aktuelle Bewohnerzahl auf allenfalls dreißig. Die Hälfte der Gebäude lag in Trümmern und wies immer noch die Pulverspuren der Artilleriegranaten auf, die sie vor Jahrzehnten zerstört hatten.Das kleine Dorf am vorderen Tor trug ebenfalls Spuren des Beschusses, denn die Häuser waren auf vielfältige Weise ausgebessert worden.
    Die Mauer, die das Gelände einst wie ein Festungswall umgeben hatte, war auf der Nord- und Ostseite zerstört und ermöglichte Shan einen freien Blick auf den Innenhof. In der Mitte des hinteren Teils stand ein chorten , dessen ursprünglich weiße Oberfläche grau verwittert war. Davor war genug Platz für Versammlungen der Mönche und die großen Zeremonien der Festtage geblieben. Mittlerweile hatte man dort jedoch noch etwas errichtet, ein Postament, fast so hoch wie der Sockel des chorten , aus dem ein hoher Mast mit der Flagge der Volksrepublik aufragte.
    Das Gebüsch hinter Shan raschelte, und eine alte Frau betrat die Lichtung. Sie hielt in einer Hand einen Beutel Getreide, in der anderen einen steinernen Stößel. Als sie sich gerade vor einer abgewetzten Mulde des Felsens niederlassen wollte, bemerkte sie Shan und zuckte erschrocken zusammen.
    »Ich bin nur auf der Durchreise«, sagte er.
    Die Frau schien die Flucht ergreifen zu wollen, aber dann fiel ihr Blick auf sein gau , das unter seinem Hemd hervorgerutscht war. »Ein Pilger?«, fragte sie vorsichtig.
    »Bloß ein Pilger«, sagte Shan.
    »Ein Pilger im Schatten«, stellte die alte Tibeterin fest.
    Shan deutete das als einen Ausdruck des Misstrauens, aber dann seufzte die Frau auf. »Heutzutage kann auch ein Pilger nur dann sicher sein, wenn er sich im Schatten hält wie wir anderen.«
    Sie setzte sich, schüttete das Getreide in die Felsmulde und hob den Stößel. »Das hat schon meine Großmutter so gemacht, als sie Köchin im gompa war«, sagte sie zu Shan. »Damals hatte jedes Dorf einen solchen Felsen. Ich komme einmal im Monat her, um ihn am Leben zu erhalten.«
    Shan nickte. »Wenn meine Großmutter Teigtaschen gemacht hat, durfte ich den Blasebalg an ihrem Herd betätigen.

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