Der tiefe Brunnen: Astrologie und Märchen (German Edition)
wieder zum Schmelzen zu bringen. Als Therapie ist hier, wie bei allen Luftzeichen, Atemarbeit besonders hilfreich.
Wer spüren möchte, wie es seinem inneren Vogel geht, dem tanzenden Zigeuner, der tanzenden Zigeunerin in ihm, der sollte prüfen, wie eng oder wie weit es in diesem Bereich seines Körpers ist.
Ich kenne Wassermann-Mond-Kinder, die sich, wenn sie von der fürsorglichen Oma einen Kuss bekommen haben, die Backe abwischen. »Lass mich, komm mir nicht zu nahe, verschling mich nicht, erstick mich nicht« – diese Energien sind hier zu Hause. Später im Leben entsteht unweigerlich das Nähe-Distanz-Problem. Dieses Komm-her-geh-weg ist zumindest untergründig, unbewusst sehr machtvoll. Es kann passieren, dass man sich auf der bewussten Ebene, astrologisch gesehen der Tagseite des Sonnenprinzips, einbildet: Ich will Nähe, ich will Beziehung, ich will Verwurzelung, aber unbewusst, in der Nachtwelt des Mondes, in der Sprache des inneren Kindes, geradezu Panik davor hat. Hier kommt es darauf an, inwieweit Freiheit schon in der Kindheit möglich war und inwieweit die Mutter einem vorleben konnte, wie man frei und unabhängig lebt. Wichtig ist, ob Liebe und Loslassen damals als Einheit erlebt wurden. Wenn die Mutter keine individuierte Hetäre war, sondern eher ein Hühneradler – zum Adler geboren, aber wie ein Huhn lebend -, dann ist das ein schweres Erbe. Dann bleibt die unerfüllte Sehnsucht, von der Mutter vorgelebt zu bekommen, wie man frei und unabhängig leben kann, eine tanzende Zigeunerin zu sein und auch eine geistige Frau, die im Salon zu Hause ist. Die geistige Verwirklichung von Frauen ist im Patriarchat ja nicht gerade gefördert worden, man denke nur an die Märchenfigur Wassilissa, die Allweise, die von ihrem Vater in einen Frosch verzaubert wurde, weil sie klüger zu werden drohte als er.
Ein anderes typisches Wassermann-Mond-Bild stammt von einem Mann, der sich bei einer Traumreise als kleinen Jungen auf einem Planeten im Weltall erlebte, auf dem er völlig allein war. Die Mütterlichen in der Gruppe hatten gleich Tränen in den Augen und meinten: »Warst du so einsam als Kind, war denn deine Mutter nicht da? Das ist ja furchtbar!« Er hingegen war ganz verwundert: »Was habt ihr denn, mir geht’s wunderbar dort oben, ich bin völlig souverän in diesem Reich, auf diesem Planeten. Keiner stört mich, keiner kommt mir zu nahe, und ich habe den notwendigen Überblick. Aus der Vogelperspektive sehe ich alles, was da unten auf der Erde passiert, ganz nichtig und klein.« Wie in dem schönen Lied Über den Wolken von Reinhard Mey. Der Mann, der sich als Kind so gesehen hatte, war übrigens sehr engagiert in der Bewegung »Wissenschaftler gegen Atomkraft«, und wenn er nach einem Vortrag gefragt wurde: »Wie meinen Sie das denn überhaupt?«, und einen Begriff definieren sollte wie etwa Verantwortung oder Macht, pflegte er zu antworten: »Ich definiere grundsätzlich nichts, hören Sie mir eine Weile zu, und Sie werden sehen, in welchem Zusammenhang ich dieses Wort gebrauche.« Das ist extrem wassermännisch gedacht. Wenn verschiedene Menschen dasselbe Wort gebrauchen, verbindet jeder etwas Einmaliges damit. Wir alle reden zum Beispiel von Liebe, aber jeder hat eine andere Vorstellung davon. Hier taucht die Frage auf: Kann ein Mensch einen anderen Menschen überhaupt verstehen?
Kinder mit Wassermann-Mond fühlen sich häufig in der Herkunftsfamilie fremd, als Kuckucksei, und in der Fremde zu Hause. Dahinter steckt die Vorstellung, dass Wahlverwandtschaft wichtiger ist als Blutsverwandtschaft, die positive Vision der Menschheitsfamilie, wie sie sich in Lebensformen wie Wohngemeinschaft oder Kibbuz äußern kann. Hier geht es eher um den Platz in der Gruppe, im Netzwerk. Der Freundeskreis ist enorm wichtig, oft wichtiger als die Herkunftsfamilie, für die gilt: »Fremd bin ich eingezogen, fremd zieh ich wieder aus«, wie es in dem berühmten Schubert-Lied heißt (Schubert war übrigens auch Wassermann). Für Eltern kann es unter Umständen sehr kränkend sein zu merken: Dieses Kind will immer nur weg, es will mit uns gar nichts zu tun haben.
Liebe hat hier auch mit Verantwortungslosigkeit zu tun. Dieser Begriff ist normalerweise negativ besetzt, aber es gibt auch eine weise Verantwortungslosigkeit, die sich aus dem Bewusstsein speist: »Ich habe mit deinem Leben nichts zu tun, du musst dein eigener Guru sein, du kannst nicht meiner sein und ich nicht deiner.« Das Gestaltgebet von Fritz Perls
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